Die Rose von Angelâme (German Edition)
sonst keine.“ Einen Augenblick lang herrschte angespannte Stille. „Lehnsherr“, fügte Pierres Herr gedehnt hinzu, als der Comte nichts sagte, und sah sich kopfschüttelnd um. „Dieses Nest gehört also Euch?“
„Ich verwalte es.“
Pierre griff in seinen Lederbeutel und zog einen Passierschein heraus, auf den der Comte jedoch nur einen schnellen Blick warf.
„Es war Eure Entscheidung, in diesem Gasthaus Rast einzulegen. Benehmt Euch und zieht weiter Eures Weges.“
„Es scheint ein reiches Lehen zu sein“, bemerkte Pierres Herr, und warf einen bezeichnenden Blick durch das offene Tor zur Gasse, in dem trotz des immer noch anhaltenden Regens eifriges, lautes Treiben herrschte.
„Es ist vor allem ein freies Lehen!“
„Ein freies Lehen“, wiederholte der Herr nachdenklich. Er winkte Pierre an seine Seite, legte kurz die behandschuhte Rechte auf dessen Schulter und wandte sich schließlich dem Eingang des Wirtshauses zu.
„Der hohe Herr lässt Euch wissen, dass er unter dem Zeichen und Schutz Seiner Hoheit, Philipp IV. aus dem erlauchten Hause Capet reitet, dem hochwohlgeborenen König aller Franken“, bemüßigte sich Pierre, die unausgesprochene Anordnung seines Herrn auszuführen. Er fühlte sich seltsam stark und sicher.
„Kann er mir das nicht selber sagen? Abgesehen davon, dass ich des Lesens mächtig bin und gesehen habe, was auf Euren Passierscheinen steht: Jeder kann das behaupten“, fuhr ihn der Comte an. Dabei warf er einen zornigen Blick an Pierre vorbei zu dessen Herrn, der sich auf halbem Wege umgewandt hatte. „Bei Gott: Die dreckigsten Lumpen sind darunter.“
„Nicht jeder, der den Namen des Allerhöchsten im Munde führt, ist ein guter Katholik“, antwortete jener, dem die Zweideutigkeit des Gesagten keineswegs entgangen war. „Und nicht jeder, der so anmaßend wie Ihr über andere urteilt, ist ein guter Richter.“
Der Comte verzog sein Gesicht zu einem spöttischen Lächeln und verbeugte sich leicht.
„Wie Recht Ihr habt, Monsieur. Genauso wenig ist jeder, der sich unter den Schutz der königlichen Farben stellt, ein Edelmann“, gab er in höflichem, jedoch kaum zu missdeutenden Tonfall zurück.
„Ihr seid dreist, Monsieur.“
„So dreist wie diejenigen, die das Haus der Kapetinger als rechtmäßige Könige der Franken sehen“, führte der Comte unbeirrt aus.
Pierre sah sich bestürzt nach seinem Herrn um. Er verstand das Aufglimmen in dessen Augen, trat entschlossen zwischen die beiden Streithähne und sagte schnell:
„Der Herr, den Ihr so dreist ansprecht, ist einer der bedeutendsten Männer am Hofe des Königs.“
Gleichzeitig erschrak er über seinen Mut, sich in diesen Disput einzumischen. Vermutlich hatte er einen schwerwiegenden Fehler begangen. Ein schneller Seitenblick zeigte ihm jedoch, dass sein Herr dieses Einschreiten mit einem Kopfnicken billigte. Pierre atmete erleichtert auf.
„Das besagt gar nichts“, ließ der Comte soeben halb an ihn, halb an seinen Herrn gewandt verlauten. „Selbst wenn er der König wäre, würde ich ihm sagen, was ich von ihm und den Männern halte, die ihn umgeben!“
„Würdet Ihr das wirklich?“ Der Herr war wieder zu ihnen getreten, schob Pierre zur Seite und stand dem Comte nur zwei Schritte entfernt gegenüber. „Also, was haltet Ihr von Eurem König und seinen Ratgebern?“
„Erstens ist er nicht mein König“, stellte der Comte richtig.
„Nicht? Aber Euer Lehen befindet sich in seinem Land!“
„Es ist ein freies Lehen, Herr!“, erinnerte ihn der Comte. „Zweitens: Ich würde auch dem König meine Meinung sagen, wenn er hier wäre.“
„Ich denke, der König der Franken verzichtet auf Eure Meinung, denn es ist die Meinung eines Waschweibs mit dem Maul einer Natter“, gab der Angesprochene verärgert zurück. Er wandte sich an seinen Adlatus.
„Wir werden diesen Ort unverzüglich verlassen. Bezahl, was wir schuldig sind.“
Zu den Wirtsleuten gewandt, die an der Tür ihrer Gaststube standen, sagte er: „Mein Adlatus gibt Euch, was Ihr fordert.“
„So sei es, Monsieur“, antwortete der Comte anstelle des Wirtes.
Noch einmal richtete der hohe Herr sein Wort an ihn.
„Ich schätze Männer, die viel von sich halten. Aber ich verabscheue solche, die sich maßlos überschätzen.“
„Oder die Euch die Wahrheit sagen?“
„Mich interessieren Eure Wahrheiten nicht. Wenn sie mich denn interessierten, wäret Ihr sicherlich längst nicht mehr hier, sondern befändet Euch im Kreis meiner
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