Die Rose von Asturien
habe er sich mit dessen Herrschaft über den Stamm abgefunden. Während sie die Männer beobachtete, schoss ihr erneut die Frage durch den Kopf, wer von ihnen der Verräter sein mochte, der ihren Vater den Asturiern ausgeliefert hatte, und sie wiederholte im Stillen ihren Racheschwur. Manchmal, wenn sie sich besonders über ihren Onkel geärgert hatte, war sie bereit, diesem die Schuld zuzusprechen. Immerhin hatte ervom Tod ihres Vaters am meisten profitiert. Doch wäre Okin es gewesen, hätte er auch sie längst aus dem Weg räumen müssen, denn in ihr floss das Blut der alten Häuptlinge, und ihr Mann würde einmal der neue Anführer des Stammes werden. Konnte es Amets gewesen sein? Er hatte zwar immer als treuer Gefolgsmann ihres Vaters gegolten, hatte aber zwei heiratsfähige Söhne. War es damals schon sein Plan gewesen, später einmal einen dieser beiden durch eine Heirat mit ihr zum neuen Oberhaupt zu machen? Wie schon so oft liefen auch diesmal ihre Gedanken im Kreis. Sie konnte sich keinen ihrer Freunde und Bekannten im Stamm als Verräter vorstellen. Einer musste es jedoch sein, und wenn sie es herausgefunden hatte, würde dieser Mann sterben.
»Von den Herren aus Asturien ist keiner gekommen!« Ermengilda seufzte enttäuscht und riss Maite aus ihren Überlegungen.
»Was sagst du?«
»Ich hatte gehofft, mein Vater käme, denn ich will nicht länger bei den Franken bleiben. Die Leute verspotten mich bereits, weil mein Mann mich missachtet. Erst gestern Abend fragte einer der Krieger, ob er nicht in der Nacht zu mir kommen und Eward ersetzen solle, und ein anderer riet mir … Nein, das war zu gemein.«
»Jetzt rede schon! Was hat er gesagt?«, drängte Maite.
Ermengilda senkte ihren Blick. »Er riet mir, meinem Gemahl nicht die Öffnung anzubieten, die uns Frauen zu eigen ist, sondern die andere.«
»Das war derb!«
Ermengilda kamen die Tränen. »Ich schäme mich so. Es ist, als wäre ich nichts wert. Weshalb nur hat mein Vater in diese Heirat eingewilligt? Gewiss hat dieser elende Gospert ihn beschwatzt und Lügen über Eward erzählt. Mein Bräutigam wäre ein wichtiger Mann im Fränkischen Reich, hat er behauptet.Wie wichtig Eward ist, siehst du daran, dass der König ihn nicht einmal zu sich rufen lässt, wenn er sich mit seinen Edlen berät!«
»Eward ist ein naher Verwandter Karls, und ich habe sagen hören, der König sei ihm sehr zugetan«, versuchte Maite ihre Begleiterin zu beruhigen.
»Selbst wenn er König Karls rechte Hand wäre, wollte ich ihn nicht«, brach es aus Ermengilda heraus.
Plötzlich schob sich eine Gestalt vor sie. Sie blickte auf und sah Philibert vor sich. »Verzeiht«, flüsterte er. »Doch Ihr solltet Eure Verzweiflung nicht so stark nach außen tragen, denn Ihr bereitet gewissen Leuten damit eine Freude.«
Er wies verstohlen hinter sich.
Als Ermengilda seinem Wink folgte, entdeckte sie Ewards Schwertbruder Hildiger, der so hämisch grinste, als weide er sich an ihren Gefühlen. Seine Augen verrieten einen Hass, der sie erschreckte.
»Weshalb ist er mir so feindlich gesinnt?«, fragte sie Philibert leise.
»Er sieht in Euch eine Gefahr für seine Stellung. Sollte Eward Gefallen an Euch finden, würde er ihn verstoßen, und dann wäre Hildiger nur noch ein Panzerreiter unter vielen. Kein Heerführer würde ihm das Kommando über andere Reiter anvertrauen. Also steht und fällt er mit Ewards Gunst, und die will er sich mit allen Mitteln erhalten.«
Da Ermengilda und Philibert nur füreinander Augen hatten, hing Maite weiter ihren eigenen Gedanken nach. Graf Roderich zählte ebenfalls zu jenen, an denen sie Rache üben musste. Die Nähe, die sie in den letzten Tagen zu Ermengilda empfunden hatte, hatte sie diese Tatsache beinahe vergessen lassen. Nun bedauerte sie, dass sie Ermengilda nett zu finden begann. Deren Tod würde Graf Roderich allerdings ohnehin kaum noch treffen, denn seine Gemahlin hatte eine zweiteTochter geboren, und damit war Ermengilda im Grunde entbehrlich.
Maite sagte sich, dass sie sich dennoch hüten musste, Ermengilda als Schicksalsgefährtin oder gar Freundin anzusehen. Sie war die Tochter ihres Todfeinds. Gleichzeitig begriff sie, dass sie ihre Chance, die Asturierin als Feindin zu betrachten, vertan hatte. Durch die Zeit, die sie mit Ermengilda verbracht hatte, war diese ihr so vertraut geworden wie eine Schwester. Sie seufzte und beobachtete die anderen waskonischen Krieger, die eben das Lager betraten. Als sie Asier, dessen Bruder Danel
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