Die Rose von Asturien
noch auf den Beinen halten zu können.
Asier nahm sie so vorsichtig auf die Arme, als könne sie jeden Augenblick zerbrechen, und stieg wieder bergan. Die Hirtin sah ihn und ließ ihre Ziegen im Stich, um zu sehen, was er da gefunden hatte.
»Es ist Maite!«, rief Asier ihr zu. »Sie ist den Asturiern entwischt!«
»Maite? Aber …« Das Mädchen brach ab. Es ging über ihr Verständnis, dass ein Kind in der Lage sein sollte, dem Grafen der Grenzmark und dessen Reitern zu entkommen.
»Bist du sicher, dass es kein Geist ist und auch kein bösartiger Zwerg, der uns narren will?«, fragte die Hirtin und wagte nur zögernd, sich Maite zu nähern.
Als sie dem Kind in die Augen sah und Erleichterung und auch ein wenig Triumph in ihnen las, stieß sie jedoch einen Jubelruf aus, der von den umliegenden Felswänden widerhallte. Einige Wächter tauchten auf, umringten Asier und Maite und lachten und weinten gleichermaßen. An diesem Tag hätten Feinde die Herde leicht wegtreiben können, denn es hielt niemanden mehr bei den Tieren. Selbst die Wachen verließen ihre Posten und schlossen sich dem Zug an, der auf das Dorf zuhielt.
Okin streifte unterdessen wie ein wachsamer Hund durch Askaiz, teils, um die Stimmung im Dorf zu erfahren, vor allem aber, um zu verhindern, dass etwas gegen seinen Willen geschah. Als er die jungen Leute entdeckte, stürzte er ihnen wutschnaubend entgegen. »Was soll das, ihr Lumpen? Weshalb habt ihr eure Posten verlassen? Ich werde euch …«
Zu mehr kam er nicht, denn Asier trat mit Maite auf den Armen auf ihn zu.
Okin starrte das Mädchen an und schüttelte verwirrt den Kopf. »Aber wie ist das möglich? Das kann doch gar nicht sein!«
»Keine andere als Maite hätte dies geschatff. Sie ist die wahre Erbin der alten Häuptlinge«, erklärte Asier stolz.
Maite war viel zu müde und erschöpft, um sich darüber Gedanken zu machen. Das Glücksgefühl, wieder zu Hause zu sein, ließ sie Hunger, Schmerzen und die ausgestandene Angst vergessen. Selbst die Trauer um den Vater trat in diesem Augenblick in den Hintergrund. Sie genoss es, sich von Estinne, die sie Asier aus den Armen genommen hatte, in deren Haus tragen zu lassen.
Nachbarinnen halfen, sie auszuziehen und zu versorgen. Als die Frauen die braungrünen Male und die verkrusteten Wundenauf ihrem Rücken und ihrer Kehrseite entdeckten, heulten sie vor Wut und Entsetzen auf. Eine fasste in Worte, was die meisten dachten: »Maite kann nicht aus Fleisch und Blut sein! Welches Kind könnte mit diesen Verletzungen tagelang durch die Wildnis fliehen und den Weg zu uns zurückfinden?«
»Sie ist Ikers Tochter und ebenso hart wie er«, erklärte eine andere so stolz, als handele es sich um ihr eigenes Kind.
Estinne stimmte nicht in die Bewunderung mit ein, sondern füllte stumm einen Napf mit Brühe und begann Maite zu füttern.
ZWEITER TEIL
Das Wiedersehen
1.
S
eit Maites Flucht aus der Burg des Grenzgrafen Roderich war fast ein Jahrzehnt ins Land gegangen. In den Bergen war wenig geschehen, doch außerhalb der kleinen, überschaubaren Heimat des Bergstamms hatte sich vieles verändert. In Nafarroa war es dem Stammesführer Eneko Aritza gelungen, den maurischen Wali von Iruñea zu vertreiben und die Stadt zum neuen Zentrum seines Herrschaftsgebiets zu machen, und aus dem Norden drangen Gerüchte, Karl, der König der Franken, plane einen Kriegszug, um die Heiden aus Spanien zu vertreiben.
In Askaiz redete man zwar darüber, aber niemand konnte sich vorstellen, dass Entschlüsse, die in so weiter Ferne gefasst wurden, Auswirkungen auf ihren Stamm haben könnten. Auch Maite hätte solche Überlegungen weit von sich gewiesen. Sie galt jetzt als erwachsen, und damit rückte der Tag näher, an dem sie einen Mann wählen und dieser die Führung des Stammes übernehmen würde. Doch nicht alle sahen ihrer Entscheidung mit Freude entgegen.
Und so kam es, dass an diesem Tag Maite mit zornblitzenden Augen vor ihrem Onkel und den Ältesten des Stammes stand und mit dem Fuß aufstampfte. »Diesem Beschluss werde ich mich niemals beugen!«
Amets, der Anführer von Guizora, hob begütigend die Hände. »Versteh uns doch richtig, Maite. Wir wollen dich zu nichts zwingen, sondern nur ein Mitspracherecht bezüglich deines Ehemanns haben. Er muss ja schließlich zum Stamm passen. Am besten wäre es, wenn du einen unserer jungen Männer wählen würdest.«
»Wohl einen deiner Söhne, was?« Okin passte es nicht, wie Amets sich in den Vordergrund
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