Die Rose von Asturien
Aus diesem Grund war er froh, dass der gascognische Wolf, wie die Franken Lupus nannten, seine Einladung ausgeschlagen hatte.
Die anwesenden Gascogner sprachen ganz in seinem Sinne. Ihren Berichten zufolge trat König Karl ihre altüberlieferten Rechte in den Staub, zumal er sich anmaßte, Land und Burgen in der Gascogne an Franken zu vergeben.
Okin lauschte eine Weile mit spöttischer Miene der Rede eines gascognischen Abgesandten und stieß dann Amets an, der gelangweilt neben ihm saß. »Meint der Kerl etwa, wir würden über die Pyrenäen ziehen und uns zu seinen Gunsten mit den Franken herumschlagen? Wir haben genug Ärger mit Asturiern und Mauren.«
»Das kannst du laut sagen!«, brummte der Häuptling von Guizora. »Erst vor ein paar Tagen haben diese verdammten Heiden eine unserer Herden geraubt und dabei drei unserer Männer erschlagen. Es wird Zeit, dass unser Stamm wieder einen richtigen Anführer bekommt.«
Bei diesen Worten knirschte Okin mit den Zähnen. In seinen Augen gab es im Stamm bereits einen Häuptling, und das war er. Im Grunde hatte er ebenso das Recht, sich Graf zu nennen, wie Eneko von Iruñea, der sich bei Verhandlungen mit den Nachbarvölkern mit diesem Titel spreizte.
Amets verfolgte Okins Mienenspiel und streute genüsslichSalz in die Wunde. »Wann sucht Maite sich endlich einen Gatten? Dann würde sich die Lücke schließen, die Ikers Tod gerissen hat.«
Okin verfluchte seine Nichte stumm. Schon einmal hatte er gehofft, von dem Mädchen befreit zu sein, doch sie war zurückgekehrt wie eine ausgesetzte Katze. Zu allem Überfluss war sie durch den Mut, den sie bei der Flucht aus der asturischen Bergfestung bewiesen hatte, zum Liebling des gesamten Stammes geworden, und daran hatte sich bis zu diesem Tag nichts geändert. Da sie nun das heiratsfähige Alter erreicht hatte, richteten sich erst recht alle Augen auf sie. Er konnte nur froh sein, dass er beim Stammesrat einen Aufschub erhalten hatte, der es ihm ermöglichen konnte, Maite doch noch von den Vorzügen einer Heirat mit seinem Sohn zu überzeugen.
Okins Blick wanderte ein Stück talabwärts zu einer größeren Gruppe, die aus dem Gefolge der Anführer bestand. Dort saß seine Nichte zwischen etlichen jungen Männern, die sie wie Fliegen umschwärmten. Unter ihnen befand sich auch Enekos gleichnamiger Sohn, der sich ausgezeichnet mit Maite zu unterhalten schien. Das stieß Okin säuerlich auf, und er fragte sich, was er unternehmen konnte, um zu verhindern, dass dieses Weibsstück all seine Pläne ruinierte.
In Gedanken versunken, achtete er nicht mehr auf das, was gesprochen wurde, und schreckte hoch, als Eneko von Iruñea das Wort direkt an ihn richtete. »Es heißt, euer Stamm hätte Graf Rodrigo Treue geschworen?«
Bevor Okin antworten konnte, platzte Amets aus Guizora her aus. »Das betrifft nur das Dorf Askaiz! Wir anderen haben diesen Schwur nicht geleistet.«
»Aber Okin ist doch euer Oberhaupt!« Eneko wirkte verärgert, denn in gefährlichen Zeiten wie diesen war es unbedingt nötig, dass die Stämme von unumstrittenen Anführern geführt wurden.
»Okin hat das Recht, bei unseren Versammlungen als Erster zu reden, doch seine Stimme zählt nicht mehr als die der anderen Dorfhäuptlinge. Schließlich war er nur Ikers Schwager und nicht dessen Bruder. Der neue Häuptling unseres Stammes wird der Mann sein, den Ikers Tochter sich zum Mann erwählt.« Damit glaubte Amets, die Grenzen seines Rivalen aufgezeigt zu haben.
Okin schnaubte wütend, sah dann aber mit heimlicher Genugtuung, dass Eneko von Iruñea den Kopf schüttelte. »Das ist kein guter Zustand. Doch da alle Anführer eures Stammes anwesend sind, können wir über einen Bund unserer Stämme beraten.«
Er sagte Bund und nicht Bündnis, und dies gefiel weder Okin noch Amets. Auch die anderen Dorfhäuptlinge zogen bedenkliche Mienen. Das klang danach, als fordere der Herr von Iruñea mehr Macht für sich, als sie ihm zugestehen wollten.
Okin stand auf. »Um es klarzustellen: Anders als die Stämme in Gipuzkoa und Araba sind wir keine Untertanen des Königs von Asturien!« Seine Miene verriet, dass er sich auch keinem anderen Herrn unterstellen würde, selbst wenn dieser ein Waskone war.
Nun schlug Eneko von allen Seiten Widerstand entgegen, und er verfluchte insgeheim diese Hartschädel. Er hatte die Anführer zusammenrufen lassen, um die Kräfte der Waskonen zu bündeln, denn nur so konnten sie dem Franken Karl geschlossen gegenübertreten und mit einer
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