Die Rose von Asturien
Freundin sein würde, hatte sich nicht erfüllt. Das schmerzte sie doppelt, denn sie fürchtete sich davor, in wenigen Wochen in die Ferne zu reisen und einem fremden Mann als Eigentum übergeben zu werden. Wie gern hätte sie jemanden an ihrer Seite gehabt, dem sie ihre Gedanken anvertrauen konnte.
Enttäuscht und voller Angst vor der Zukunft kehrte sie in das Hauptgebäude zurück. Dort begegnete sie ihrem Vater.
Roderich winkte sie zu sich. »Ich habe eben mit Herrn Gospertgesprochen. Er ist genau wie ich der Ansicht, dass deine Heirat so rasch wie möglich erfolgen sollte. Daher wirst du übermorgen abreisen. Ich würde dich am liebsten persönlich zu den Franken bringen, aber meine Anwesenheit ist hier vonnöten. Ich denke, zwanzig wackere Kerle werden genügen, dich unversehrt über die Pyrenäen zu bringen.«
»So schnell soll ich von hier fortgehen, Vater?« Ermengilda erbleichte, denn nach Eblas Worten war ihre Vorfreude auf diese Ehe geschwunden.
Roderich schrieb das Erschrecken seiner Tochter dem baldigen Verlust von Heimat und Familie zu und zog sie an sich. »Es muss sein, Kleines! Deine Mutter ist wieder schwanger, und so Gott will, wird es ein Sohn, der uns anders als dein erster Bruder hoffentlich erhalten bleibt. Er wird in harte Zeiten hineingeboren werden. Silos Macht ruht auf schwachen Füßen, und als sein Verwandter stehe ich nicht gerade hoch in der Gunst seiner Feinde. Sollte der König stürzen, besteht die Gefahr, dass er mich und damit auch deine Mutter und deine kleine Schwester mit in den Untergang reißt. Ein mächtiger Eidam im Frankenreich könnte dies verhindern. Deine Heirat mit diesem Edelmann ist auch für uns sehr wichtig. Sollte deine Mutter keinen Sohn zur Welt bringen, bleibst du meine erste Erbin, und einer deiner Söhne wird in dem Fall die Grenzmark übernehmen.«
Ermengilda atmete tief durch. Der Vater hatte recht. Es war ihre Pflicht, sich für die Familie zu opfern.
»Es wird alles gut, das wirst du sehen!« Roderich lächelte und strich sich über die Stirn, als wolle er den kurzen Moment der Schwäche vergessen machen. »Wenn du übermorgen aufbrichst, bleiben dir nur mehr zwei Tage, um deine Sachen zu packen. Also hurtig ans Werk, Tochter. Du willst doch Ehre für uns einlegen.«
»Das will ich gewiss, Vater!« Ermengilda verbeugte sich undging. Erst im Nachhinein wurde Roderich bewusst, dass sie das noch nie getan hatte, und er spürte mit einer gewissen Trauer das enge Band zwischen ihm und seiner Tochter schwinden.
10.
U
m dieselbe Zeit, in der Ermengilda ihre Reise ins Frankenreich vorbereitete, versammelten sich etwa hundert Meilen ostwärts die Anführer und wichtigsten Krieger der waskonischen Stämme bei dem Örtchen Alsasua. Eneko Aritza hatte diesen Ort gewählt, obwohl er seit kurzem das von den Mauren eroberte Iruñea sein Eigen nannte. Doch eine Einladung dorthin hätten die anderen Stammeshäuptlinge als Aufforderung ansehen können, sich ihm zu unterwerfen. In den Augen der meisten besaß er jetzt schon zu viel Einfluss, aber dennoch waren fast alle erschienen.
Die Häuptlinge hatten ihre halbe Sippe, die besten Krieger und den festen Vorsatz mitgebracht, Eneko Aritza reden zu lassen, ohne ihm auch nur den kleinen Finger zu reichen. Auch Okin von Askaiz hatte den Weg auf sich genommen und saß nun neben Amets von Guizora und den anderen Anführern des Stammes. Ihr Gastgeber sprach viel von Asturien und dessen Machtanspruch, den die freien Stämme der Waskonen gemeinsam zurückweisen müssten, und kam dann auf die Franken zu sprechen.
Eneko hatte auch einige Anführer der stammesverwandten Gascogner aus dem Norden gebeten zu kommen. Diese standen zwar seit etlichen Generationen in lockerer Abhängigkeit zum Fränkischen Reich, hatten aber die Aufrufe der Frankenkönige zur Heerfolge bislang missachtet und die geforderten Tribute nur dann bezahlt, wenn es unumgänglich wurde. Seiteinem Dutzend Jahren pfiff jedoch ein anderer Wind durch die Gascogne. König Pippin hatte den letzten Herzog von Aquitanien besiegt und das Land unterworfen, aber es gab immer noch Männer, die von Freiheit und Eigenständigkeit träumten. Gerüchten zufolge zählte sogar Lupus dazu, obwohl dieser seinen Verwandten Hunold an die Franken ausgeliefert hatte und dafür mit dem Titel eines aquitanischen Herzogs belohnt worden war. Eneko von Iruñea sah Lupus deswegen als Konkurrenten an, der ihm die Führung der waskonischgascognischen Stämme streitig machen wollte.
Weitere Kostenlose Bücher