Die Rose von Asturien
Stimme sprechen. Doch weder das, was Waifar aus der Gascogne berichtete, noch sein beschwörender Appell brachte die Häuptlinge dazu, sich ernsthaft und ohne persönliches Kalkül mit ihrer Lage auseinanderzusetzen. Für sie war der Franke sehr weit weg, und ihre Gedanken drehten sich mehr darum, wie sie einander, ihren asturischen Nachbarn oder den Mauren jenseits der nahen Grenze ein paar Schafe stehlen konnten.
Noch einmal versuchte Eneko, die Männer zur Vernunft zu bringen. »Freunde! Wenn wir nicht von Stund an zusammenhalten, wird der Franke unser Land genauso unterwerfen wie die Gascogne. Schulter an Schulter aber können wir auf gleicher Höhe mit ihm verhandeln und ein Abkommen mit ihm schließen, das unsere Freiheit bewahrt. Damit wäre es uns auch möglich, die Asturier auf die alten Grenzen zurückzutreiben und den Westen unseres Landes wiederzugewinnen.« Doch auch diese Worte verhallten ohne Echo. Eneko begriff, dass er einige seiner Hoffnungen aufgeben musste, und wandte sich mit einer resignierenden Geste an seinen gascognischen Gast. »Wie es aussieht, wird mir nichts anderes übrigbleiben, als mein Knie zu beugen, wenn König Karl mit seinen Franken erscheint, und ihn als Oberherrn anzuerkennen. Nur mit meinen eigenen Männern kann ich in keine Schlacht ziehen, denn der Franke würde mich zermalmen.«
»Dann bekämpfe ihn doch in den Bergen!«, schlug Waifar vor. Eneko schüttelte den Kopf. »Dann müsste ich Iruñea und das flache Land aufgeben.«
»Wenn du so denkst, musst du dich Karl unterwerfen!«
»Damit hat diese Versammlung mir gezeigt, welche Entscheidung ich treffen muss.« Enekos Stimme klang bitter, und im Stillen entwarf er bereits die Botschaft, die er über die Pyrenäen zu Karl senden wollte, um sich ihm als Vasall anzudienen. Es war besser, dem König zu huldigen, als im Kampf gegen ihn alles zu verlieren.
11.
D
ie jungen Leute, die sich auf dem Markt versammelt hatten, kümmerten sich nicht um die Spitzfindigkeiten der Politik, sondern lachten, sangen und tanzten. Dabei prahlten sie mitHeldentaten und versuchten, einander mit immer wilderen Geschichten zu übertreffen. Vor allem Eneko, der gleichnamige Sohn des Herrn von Iruñea, tat sich darin hervor, fand aber in dem jungen Gascogner Tarter einen erbitterten Gegenpart. Dieser vermochte zwar nicht mit Geschichten über Überfälle auf maurische Hirten und asturische Bauern aufzuwarten, hatte aber im Gefolge seines Anführers mehrere Streifzüge gegen die Stämme am Fluss Aragon unternommen und einmal sogar gegen echte Franken gekämpft.
Andere Burschen wollten mithalten und spannen ein Lügengewebe, das zwar alle durchschauten, aber begeistert anhörten. Das Ziel der meisten jungen Männer war es, Maite zu imponieren, denn derjenige, den Ikers Tochter wählte, würde der Häuptling von Askaiz und des gesamten Stammes.
Eines der Mädchen, das wie viele andere unbeachtet am Rand der Gruppe hockte, ärgerte sich darüber und begann zu hetzen. »Was bildet diese Maite sich eigentlich ein? Die will wohl etwas Besseres sein als wir!«
Obwohl Maite nicht einmal den Versuch unternahm, ihren Verehrern schöne Augen zu machen, wetzten die Freundinnen der Sprecherin nun ebenfalls ihre Zungen und zogen über Ikers Tochter her. Der einen war sie zu klein, der anderen wieder zu groß. Manche bezeichneten ihre Figur als plump, während eine andere ihren angeblich zu flachen Busen und ihr zu breites Gesäß bemängelte. An Maites Gesicht hatten sie alles Mögliche auszusetzen, ebenso wie an ihren Haaren. Vor allem aber störten sie sich an der selbstbewussten Art ihrer Rivalin.
Die jungen Burschen sahen Maite jedoch mit anderen Augen an. Für diese war sie ein mittelgroßes Mädchen, gerade noch schlank genug, um nicht untersetzt zu wirken, und mit genau den richtigen Rundungen am Körper, die ihre Phantasie beflügeln konnten. Mit ihrem hübschen, leicht rundlichen Gesicht,ein paar Sommersprossen auf der Nase, haselnussbraunen Augen und den brünetten, weich fallenden Locken stellte sie die meisten anderen Mädchen in den Schatten.
Maite achtete nicht auf die neidischen Bemerkungen, die die Mädchen am Rand der Gruppe austauschten, sondern hörte den Burschen zu und lachte, wenn der jeweilige Redner durch eine Bemerkung eines Freundes als Großmaul entlarvt wurde. Dabei war ihr durchaus klar, dass sie irgendwann einmal einen dieser jungen Männer heiraten musste. Aber in ihren Augen hatte das noch Zeit.
»He, Maite, du hörst
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