Die Rose von Asturien
musterte sie misstrauisch. »Warum bringst du das Mädchen zu uns?«
»Um sie zu behalten. Eneko, der Häuptling von Iruñea, fordert sie nämlich für sich, weil er sie den Franken übergeben will, umgut Wetter zu machen. Er erhofft sich König Karls Huld und will dessen Vasall werden, damit er uns freie Waskonen wie Knechte behandeln kann – so wie die Asturier es bei euch versuchen.«
»Versuchen können sie es, doch das wird ihnen niemals gelingen!« Unai ballte die Fäuste, denn er mochte weder den stammesfremden Grafen, dessen Männer von ihnen Tribut eintrieben, noch die asturischen Priester, die zu ihnen kamen und in ihrer fremden Sprache predigten.
Maite warf den Kopf in den Nacken. »Ebenso wenig, wie ihr Graf Roderich liebt, will ich meinen Stamm unter der Herrschaft des Häuptlings von Iruñea sehen. Mein Onkel Okin will mich zwingen, Ermengilda an Eneko auszuliefern. Aus diesem Grund habe ich Askaiz verlassen, um meine Gefangene an einen sicheren Ort zu bringen. Ist euer Dorf ein sicherer Ort?«
Unai lachte fröhlich auf. »Es ist der sicherste Ort der Welt, aber du darfst das Mädchen trotzdem nicht hierlassen. Einige der Stammesältesten könnten der Meinung sein, wir sollten sie Eneko übergeben. Er lässt doch gewiss etwas für sie springen, oder nicht?«
Maite begriff, dass auch Unai nichts dagegen hätte, Ermengilda an die Franken zu übergeben, und schon jetzt an das Lösegeld dachte, das diese zahlen würden. Noch vor einem Tag hätte sie sich umgedreht, um anderswo Hilfe zu finden. Doch inzwischen hatte auch sie sich überlegt, welchen Preis sie für ihre Gefangene verlangen konnte. Er musste hoch genug sein, damit sie in Zukunft von Okin unabhängig sein würde. Gleichzeitig aber musste sie auch Unai und einige andere Helfershelfer zufriedenstellen können.
»Wo soll ich sie deiner Meinung nach hinbringen?«, fragte sie deshalb den jungen Mann.
»Mein Vater will, dass ich zu den Hochalmen unseres Stammesaufsteige und nach dem Rechten sehe. Dort oben ist deine Gefangene sicher. Immerhin passe ich selbst auf sie auf!«
»Du wirst erlauben, dass ich dich begleite.«
»Ich würde mich freuen!« Unai musterte Maite mit neu erwachendem Interesse. Gegen die auch in ihrem einfachen Kittel außerordentlich hübsch aussehende Asturierin wirkte sie eher unscheinbar, aber auf ihre Art war sie dennoch reizvoll. Zudem hatte derjenige, der sie einmal heiratete, zugleich das Anrecht darauf, Anführer ihres Stammes zu werden, und er fragte sich, warum nicht er dieser Mann sein sollte.
Maite ahnte nichts von seinen Überlegungen, sondern war erst einmal froh, dass er ihr helfen wollte. Da ihr Erscheinen keine Gefahr darstellte, drängten sich jetzt auch Frauen und Kinder um sie, so dass der Häuptling des Dorfes sich durch die versammelte Menge schieben musste. Der Mann begriff schnell, was sich hier abspielte, und kniff die Lippen zusammen. Ihm war klar, dass er es nicht wagen durfte, über Maite und ihre Gefangene zu verfügen. Hob er die Hand gegen Ikers Tochter, würde er die jungen Krieger gegen sich aufbringen.
Daher wandte er sich seinem ungebetenen Gast freundlich zu. »Sei mir willkommen, Mädchen! Ich kannte deinen Vater gut und deine Mutter ebenfalls. Du siehst ihr sehr ähnlich. Die Augen aber hast du von Iker. Nur er konnte so kühn blicken wie du.«
Der Häuptling umarmte Maite und lud sie ein, in seinem Dorf zu übernachten. Die Höflichkeit gebot ihr, die Einladung anzunehmen. Sie bestand jedoch darauf, im selben Raum zu schlafen wie Ermengilda, denn sie traute dem Frieden nicht. Dennoch war sie froh, Okins und Enekos Machtbereich fürs Erste entkommen zu sein.
9.
D
ie Hochalm des Stammes war nicht leicht zu erreichen. Dennoch wurde die Herde dort von einem halben Dutzend Männern bewacht, großen, sehnigen Hirten, die selbst den Kampf mit einem Bären nicht scheuten. Rasch stellte Maite fest, dass diese Unai nicht ernst nahmen. Es waren Männer, die ihren eigenen Stolz besaßen und selbst auf das Wort ihres Häuptlings spuckten, wenn es ihnen nicht passte. Zunächst weigerten sie sich, Maite und Ermengilda bei sich aufzunehmen, doch als Unai ihnen einen Teil des Lösegelds versprach, das Maite von Eneko bekommen würde, wurden sie anderen Sinnes.
Maite ärgerte sich, dass ihre Gefangene so viele Begehrlichkeiten weckte. Wenn sie nicht achtgab, würde sie bald nicht mehr Herrin ihres freien Willens sein, sondern tun müssen, was andere bestimmten. Schon jetzt konnte sie sich
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