Die Rose von Asturien
dieser jetzt anders liegen als vorher. Er hob die Hand und stieß einen leisen Warnruf aus.
»Vorsicht! Die Bestie muss sich ganz in der Nähe befinden.« Noch während er seinen Speer fester packte, ertönte nicht weit von ihm entfernt der gellende Schrei einer Frau.
10.
D
er Bär stand auf einmal vor ihnen. Ermengilda prallte vor ihm zurück, als wäre sie gegen eine Mauer gerannt, und schrie auf.
Maite, die ein paar Schritte hinter ihr gegangen war, starrte das Tier, das sich jetzt zu seiner ganzen Größe aufrichtete, ebenso fasziniert wie erschrocken an. Ihr Kopf passte mit Leichtigkeit in das weit aufgerissene Maul und würde von den mächtigen Kiefern wie eine Nuss geknackt werden. Im ersten Augenblick wollte sie sich umdrehen und wegrennen. Doch da sah sie Ermengilda, die vor Schreck wie erstarrt dicht vor dem Bären stand. Gleich würde das Untier zuschlagen und sie töten.
Maite handelte, ohne zu überlegen. Mit einem Schritt war sie bei Ermengilda, packte sie und stieß sie zurück. Gleichzeitig richtete sie ihren primitiven Spieß auf den Bären.
»Verschwinde!«, herrschte sie das Tier an, doch ihre Stimme klang allzu dünn und zittrig. Der Bär überragte sie ein ganzes Stück und konnte ihr mit einem einzigen Prankenhieb das Rückgrat brechen. Aber sie wusste, dass jeder Fluchtversuch sinnlos war. Einmal in Zorn versetzt, würde der Bär ihnen folgen und sie beide töten. Eine winzige Idee glomm in ihr auf.
Wenn sie schneller rannte als Ermengilda, würde das Tier sich vielleicht mit der Asturierin begnügen.
Doch entschlossen schob Maite den Gedanken beiseite. Ermengilda war ihre Gefangene und damit ihrem Schutz anvertraut. Entweder gelang es ihr, den Bären zu verscheuchen, oder sie würden beide sterben.
Sie packte den Stab fester und starrte auf die Brust des Bären, der offensichtlich nicht wusste, ob er sie angreifen oder sich abwenden sollte. Da vernahm sie Hufschlag. Ein Pferd schnaubte angestrengt, und dann sah sie aus dem Augenwinkel einen Reiter auf sich zukommen. Es handelte sich weder um einen Waskonen noch um einen Asturier oder Mauren.
Der Mann trug ein Panzerhemd aus genieteten Schuppen und einen seltsam geformten Helm. In der Hand hielt er einen langen Speer. Zwischen den Bäumen war das eine ungeeignete Waffe, und der Reiter hatte Mühe, die Spitze auf den Bären zu richten.
Das Tier drehte sich trotz seiner Größe leichtfüßig herum und beäugte den neuen Feind, als sei es nicht sicher, wer von den Menschen gefährlicher war.
Als Maite sah, dass der Bär ihr den Rücken zuwandte, sprang sie nach vorne und rammte ihm ihren Spieß in den Leib. Brüllend warf das Tier sich herum und schlug mit beiden Pranken zu. Doch Maite war schneller, und die Krallen trafen nur leere Luft.
Konrad sah, wie der Bär auf die Frau losging, und trieb seinem Hengst die Sporen in die Weichen. Das Pferd flog fast über die Büsche, die es von dem Bären trennten, wollte aber, als es das Raubtier sah, zur Seite ausbrechen. Konrad zwang den Hengst näher an den Bären heran und stieß der Bestie den Speer tief in die Flanke.
Doch noch war das Raubtier nicht besiegt. Schneller als das Auge folgen mochte, griff es Konrads Hengst an. Dieser stiegwiehernd auf, um sich mit den Vorderhufen zur Wehr zu setzen, und warf seinen Reiter aus dem Sattel. Trotz der hinderlichen Rüstung kam Konrad sofort auf die Beine, riss sein Schwert heraus und hieb auf den Bären ein.
Maite griff nach ihrem Spieß, den das Raubtier abgeschüttelt hatte, und stach von der anderen Seite auf das Tier ein. In dem Augenblick war Philibert heran. Sein wuchtiger Speerstoß traf das aufgerissene Maul des Bären und brachte die Entscheidung. Mit einem letzten, klagenden Laut sackte der König der Pyrenäenwälder zusammen und blieb reglos liegen.
Konrad wischte sich den Schweiß ab, der sich in seinen Augenbrauen angesammelt hatte, und atmete auf. »Den hätten wir erwischt!«
»Zum Essen ist er zu alt, und mit dem Fell können wir auch keine Ehre mehr einlegen, denn das hat mehr Löcher als ein von Motten zerfressenes Hemd.« Philibert klang bedauernd, denn es handelte sich um den größten Bären, den er je gesehen hatte.
»Mir blieb nichts anderes übrig, als wacker zuzuschlagen, um die beiden Frauen zu retten«, gab Konrad zurück.
»Dir mache ich auch keinen Vorwurf. Deine Tat war genauso heldenhaft wie dein Kampf mit dem Keiler, auch wenn du diesmal die Hosen anbehalten hast.« Das Lachen, mit dem Philibert diese
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