Die Rose von Byzanz
ihn.
Es war ein merkwürdiges Gefühl, bei seinem Freund zu sitzen und um dessen nahenden Tod zu wissen. Wieder trank Hallgrim und verzog das Gesicht.
„Das muss widerlich schmecken, wenn selbst du eine Miene verziehst“, versuchte Eirik einen Scherz.
„Freya besorgt die Kräuter. Es ist ein teures Vergnügen, das mein Leiden allenfalls um ein paar Tage verlängert, aber ich tue ihr den Gefallen, es zu trinken. Sie ist so sehr um mich besorgt.“
„Das ist nicht die Freya, die ich kannte.“
Hallgrims Lachen ging in einen bellenden Husten über. Er hielt sich ein Tuch vor den Mund, das mit Blutstropfen besprenkelt war, nachdem der Anfall abklang. Eirik drehte den Kopf.
„Freya war immer nur auf ihren Vorteil bedacht, das meinst du?“ Er krächzte nur noch. „Sie hat sich verändert. Oder es ist ihr Vorteil, wenn ich hier liege und dem Tode und Walhall näher bin, als unserem gemeinsamen Leben.“
„Nützt ihr dein Tod?“
„Ah, du stellst Fragen, die ich schon lange hinter mir gelassen habe. Als Nächstes wirst du wissen wollen, ob sie mich wohl vergiftet hat.“
Eirik schwieg. Tatsächlich war ihm dieser Gedanke durch den Kopf gegangen, aber es schien ihm unwahrscheinlich. Freya eine Mörderin? Andererseits brachte sie ihrem Mann dieses Gebräu, das sah ihr noch viel weniger ähnlich.
„Nein, mein Freund, du täuschst dich in ihr.“ Müde schüttelte Hallgrim den Kopf. Er sank in die Kissen, die seinen Rücken stützten, presste das Tuch an den Mund und atmete pfeifend aus. „Sie ist nicht mehr so wie damals.“
„Nein?“ Eirik schüttelte verwundert den Kopf. „Es würde mich wundern, weißt du …“
Sie schwiegen.
Eirik dachte an jene Zeit zurück. Er war jung und unerfahren gewesen, als er Freya kennengelernt hatte. Aber eines hatte er sofort zu wissen geglaubt: Diese Frau sollte seine werden. Ihr Vater schien mit dieser Verbindung durchaus einverstanden zu sein, und auch Freya war ihm nicht abgeneigt. Doch missfiel ihr, dass er nicht in Uppsala bleiben und den Hof seines Vaters übernehmen wollte, wie es ihm als ältestem Sohn zugestanden hätte. Nein, er wollte in die Welt hinausziehen und in Kiew sein Glück versuchen – wobei es beim Versuch blieb. Hallgrim hatte da mehr Glück, war tüchtiger und kein Träumer. Ihm wandte Freya sich zu, weil sie nicht in einem windschiefen Häuschen am Hafen hausen wollte, bis es Eirik endlich gelang, mehr Kapital aus seinen Fähigkeiten zu schlagen.
So hatte sie seinen besten Freund geheiratet.
Danach hatte er Uppsala verlassen. Weiter, weiter in den Süden, bis nach Byzanz, wo er in der Warägergarde schließlich eine Heimat fand, die ihm Ehre und einen bescheidenen Wohlstand einbrachte.
Jetzt war er ein reicher Mann, fand endlich den Mut, nach Svea zurückzureisen – und wäre für die bald verwitwete Freya Sigurdsdottir eine mehr als glänzende Partie. Nur Hallgrims Tod stand Freyas Glück im Weg …
„Glaub mir, Eirik: Sie ist eine andere. Nach meinem Tod wird sie eine reiche Frau sein, die sich ihren zweiten Gemahl aussuchen kann. So weit es uns möglich war, sind wir in den letzten Jahren glücklich gewesen.“
Die Tür knarrte. Freya kam herein, den Kopf züchtig gesenkt, den Blick konzentriert auf ein Tablett in ihren Händen gerichtet.
Hallgrim stöhnte. „Nicht schon wieder Suppe.“
„Du hast kaum etwas gegessen beim Festmahl. Ich habe dir auch noch einen Tee bereitet.“
Eirik machte Freya Platz, die sich zu Hallgrim auf die Bettkante setzte. Sie breitete ein Tuch über seiner Brust aus, nahm die Suppe vom Tablett, das sie auf dem Hocker abgestellt hatte, und rührte mit dem Löffel darin. Dampf stieg auf.
„Und danach brauchst du Ruhe. Ihr könnt eure Männergespräche morgen fortsetzen.“ Über die Schulter warf sie Eirik einen warnenden Blick zu. Widersprich mir nicht!, sagte ihm dieser Blick.
Wenn ich sie nicht besser kennen würde, nähme ich ihr die Rolle als treu sorgendes Eheweib direkt ab.
„Natürlich. Uns bleiben noch viele Tage, alter Freund“, versprach Eirik.
„Sag das nicht. Die Nornen haben schon das Ende meines Schicksalsfadens in der Hand.“
„Wir sorgen dafür, dass sie noch etwas darüber nachsinnen, ehe sie ihn durchtrennen.“
Hallgrim nickte, ehe er den Mund aufsperrte, um sich wie ein Kleinkind füttern zu lassen. Eirik konnte nicht länger bleiben; der Anblick des Mannes, mit dem er aufgewachsen war und so viele Erinnerungen teilte, schmerzte ihn. Siech lag er danieder und harrte
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