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Die Rose von Darjeeling - Roman

Die Rose von Darjeeling - Roman

Titel: Die Rose von Darjeeling - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Lott
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gezielter Atmung rang er um seine Beherrschung.
    »Guten Morgen, Gustav!« Kathryn versuchte ein Lächeln. »Brummt dein Schädel auch so?«
    »Guten Morgen, Kathryn.«
    Ein prüfender Blick auf ihr unschuldiges Gesicht sagte ihm, dass sie sich nicht erinnerte. Verlegen setzte sie sich aufs Bett. Seine Lippen waren geschwollen. Sie errötete. Er hatte allerdings noch andere Blessuren – vom Dornengebüsch, in das er beim Angriff des Schneeleoparden gefallen war.
    »Du, das mit dem Kuss gestern Abend …«, druckste sie, »… das müssen wir Carl ja nicht unbedingt sagen, oder?«
    Gustav schüttelte den Kopf. Wusste sie denn wirklich nichts mehr? Die unvergesslichsten Minuten seines Lebens, in denen eine ganze Ewigkeit gelegen hatte, waren spurlos an ihr vorübergezogen?
    Ja, er musste sich wohl damit abfinden. Sein größtes Glück war für sie nur Fleischeslust im Rausch gewesen. Und schon vergessen.
    Er atmete schwer.
    »Nein«, sagte er heiser, »natürlich nicht.«
    »Ich hab tatsächlich eine Erinnerungslücke. Keine Ahnung, wie ich in mein Zimmer gekommen bin …« Beklommen musterte sie ihn.
    Sie hoffte auf eine harmlose Erklärung, so viel begriff Gustav. Und er liebte sie. Er wollte, dass es ihr gut ging.
    Sie waren beide eingeschlafen. Er hatte sie fest umschlungen gehalten. Im Schlaf hatte sie »Carl« gemurmelt. Daraufhin hatte er sie hochgehoben, zum Haus getragen – und war Manjushree in die Arme gelaufen. Sie hatte geholfen, die betrunkene Kathryn in ihr Zimmer zu bringen. Hatte sie ausgezogen, gewaschen, in ihr Bett gelegt und die Tabletten, die Gustav ihr in die Hand gedrückt hatte, auf dem Nachttisch deponiert.
    Gustav zögerte so lange mit der Antwort, dass Kathryn Angst bekam. Sie erinnerte sich an seine Liebeserklärung. Und an den Kuss, der wenig Ähnlichkeit mit dem Gymkhana-Kuss gehabt hatte. Aber danach? O Gott, sollte sich da etwa mehr …
    »Keine Sorge«, lächelte Gustav endlich auf seine charmante Art mit hochgezogenen Augenbrauen. »Nach dem Kuss, den ich mir zum Abschied ja wohl redlich verdient hab, bist du beschwipst nach Hause entschwebt.«
    »O mein Gott!« Erleichtert lächelte sie zurück. So war es wohl gewesen. »Ich dachte schon …«, sagte sie.
    Sie waren regelrecht auf der Flucht vor dem Monsun. Es dräute, aber brach nicht durch. Über Darjeeling lag eine niederdrückende Stimmung, in der sich die Menschen gereizt anfuhren. Aldous Whitewater lud Carl und Gustav im Planters’ Club zum Abschiedslunch ein. Da der Zug nur einmal am Tag morgens um Viertel nach neun losfuhr und sie deshalb noch eine Übernachtung benötigt hätten, bot er den beiden an, dass Tinley sie mit dem Lastwagen runter nach Siliguri bringen könne. So wären sie wesentlich schneller dort.
    »Dann erreicht ihr noch heute den Zug nach Bombay.« Die über zweitausend Kilometer lange Strecke von Siliguri bis in die Hafenstadt dauerte zwei Tage. Der Toy Train hatte für Carl und Gustav seinen Reiz verloren, und so nahmen sie das Angebot dankend an.
    »Wir haben noch gut zwei Stündchen Zeit«, verkündete Whitewater nach einem Blick auf seine Taschenuhr. »Schlage vor, wir ruhen etwas und treffen uns um vier Uhr mit Sack und Pack am Wagen.«
    Carl gab dem Concierge im Windamere ein dickes Trinkgeld, damit er das Zimmer erst später räumen musste und kurz wegschaute, als Kathryn durch die Hotellobby ging und die Treppe hochstieg.
    »Nur noch zwei Stunden!«
    Kaum hatte Carl die Hotelzimmertür verschlossen, lagen sie sich auch schon in den Armen.
    »Ich liebe dich!«
    Ich bin süchtig nach dieser Frau, dachte Carl. Mein Leben wird nie wieder sein wie vorher, weil ich weiß, dass es sie gibt.
    Ich will dir noch so viel sagen, dachte Kathryn. Aber es mündet doch alles in diesem einen Satz: »Ich liebe dich!«
    Mehr Worte brauchten sie jetzt nicht.
    Sie liebten sich mit einer Intensität und Verzweiflung, wie sie nur die Aussicht auf eine Trennung, womöglich für immer, auszulösen vermag – als könnten sie einander unter die Haut kriechen, dem anderen die Erinnerung für immer in jede Zelle einprägen.
    »Es wird Zeit, Carl.«
    »Ja.«
    Sie umklammerte das Metallgestell am Fußende des Bettes, als brauchte sie einen Halt. Ihre Fingerknöchel traten weiß hervor. »Ich muss dir noch etwas sagen.«
    Sein Herz setzte einen Takt aus. Ihm war, als würde die Luft in seine Lungen zurückgepresst.
    »Ja?«
    Sag es nicht, betete er innerlich. Ich weiß, was du sagen willst, aber ich will es nicht hören,

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