Die Rose von Darjeeling - Roman
Perlennadel an seiner hellblauen Seidenkrawatte und schloss die Augen. Hoffentlich wurde ihr nicht übel. Sie nahm den Geruch von teurem italienischem Eau de Cologne wahr, ganz entfernt auch den von Tabak. Dann spürte sie seine Lippen auf ihren. Kathryn verkrampfte sich, ihre Lippen blieben fest verschlossen.
Er hielt ihre Nervosität für ein Zeichen mädchenhafter Scheu und lächelte, etwas enttäuscht zwar, doch entschlossen, ihre Zurückhaltung als tugendhaft zu interpretieren. Mit der Zeit würde sich das schon ändern. Er sah Sexualität zwar auch wie die Mehrheit der Upper Class als unkultivierte Verhaltensweise an, der man sich nur kontrolliert und sparsam dosiert hingeben sollte, doch seine Pflichten als Ehemann würde er mit Freude nach Kräften erfüllen. Und die Taintsworths brauchten einen Stammhalter.
Jetzt öffnete Kathryn die Augen und wurde rot. Der Lord war entzückt. Sie kam ihm vor wie das Ideal seiner viktorianischen Jugendzeit. Er küsste sie auf beide Wangen. Mit eleganter Geste nahm er von einem Tischchen ein Kästchen. Er ließ den Schnappverschluss aufspringen – auf schwarzem Samt funkelte ein von Brillanten eingefasster Smaragd, ihr Verlobungsring.
»Er stammt aus dem Schatz eines Maharadschas in Rajasthan … Wir sollten jetzt Du sagen, meine Liebste.« Lord Taintsworth steckte Kathryn den funkelnden Ring an. »Nenn mich Alfred.«
Kathryn schluckte. »Danke … Alfred!«, hauchte sie, beinahe geblendet von der Schönheit des Schmuckstücks.
Der Ring passt nicht zu den Ohrringen von Carl und Gustav, dachte sie, und schalt sich gleich darauf, dass sie ausgerechnet im feierlichen Augenblick ihrer Verlobung solche unangemessenen Gedanken hatte.
Wie sie da so versonnen vor ihm stand, konnte Alfred nicht anders. Er zog sie noch einmal in seine Arme und küsste sie. Diesmal leistete Kathryn keinen Widerstand.
Bin ich jetzt käuflich?, fragte sie sich, bevor sie verwundert spürte, wie heiß die Lippen des Lords waren, wie weich und zugleich fordernd, und wie sie mit sanftem Druck drängten, dass sich auch ihre Lippen öffneten. Wie sie es schon einmal erlebt hatte …
»Sie … Du hast mich im Gymkhana geküsst!«, rief Kathryn fassungslos.
Er lächelte stolz, zum ersten Mal bemerkte sie in seinen Augen auch einen jungenhaften Schalk.
»Vater, ich habe mich mit Lord Taintsworth verlobt.«
Aldous Whitewater regte sich weit weniger auf als sie erwartet hatte. Es war nur ein schwaches Aufbäumen, ein nochmaliges Nachfragen der Form halber. »Und was ist mit Carl?«
Kathryn zuckte zusammen. »Das war nur eine Liebelei ohne Zukunft«, behauptete sie, aber sie kreuzte die Finger hinter dem Rücken.
Aldous Whitewater ahnte zwar, dass seine Tochter nicht die Wahrheit sprach, doch die Aussicht, Geestra Valley retten zu können, hinderte ihn daran, dem weiter nachzugehen.
Gustav und Carl sprachen in der Bahn bis Bombay kaum ein Wort miteinander. Die Spannung zwischen ihnen steigerte sich, je näher sie ihrem Ziel kamen.
Gustav kämpfte mit sich, ob er Carl nicht einfach die Wahrheit sagen sollte. Wie würde er reagieren, wenn er hörte, dass seine angebetete Kathryn mit ihm, Gustav, geschlafen und dass es ihr gefallen hatte?
Als sie ihre Fracht auf dem Schiff kontrolliert und ihre Kajüte bezogen hatten, ausgerechnet noch eine Doppelkajüte, setzte Carl sich zu ihm. »Sie heiratet den Lord«, sagte er.
Damit hatte er nicht gerechnet. Gustav war so schockiert, dass ihm sein Freund sogar leidtat. Kurz badete er in der Vorstellung, sie hätte Carl verschmäht, weil sie sich überraschend an die Nacht mit ihm erinnert und gemerkt hätte, dass sie in Wirklichkeit ihn liebte. Aber Gustav war Realist. Nein, Kathryn wollte Geestra Valley, das Familienunternehmen, die Tradition, ihren Vater, das Dorf retten. Und sicher, so überlegte Gustav, behagte es ihr auch mehr, ihr Leben als Lady zu verbringen. Hatte er ihr den arbeitsreichen Alltag in einer Baumschule nicht abschreckend genug geschildert?
Um nur ja nichts Verräterisches zu sagen, spaßte Gustav. »Andere Mütter haben auch schöne Töchter.«
Carl schaute ihn mit einem vernichtenden Blick an. »Du bist ein Idiot. Lass mich einfach in Ruhe.«
Bis Deutschland sprachen sie nur noch das Allernötigste. In Deutschland sprachen sie überhaupt nicht mehr miteinander. Ihre Verwandten verstanden nicht, weshalb. Wer fragte, erhielt keine Antwort und gab es irgendwann auf. Aber die Familien ter Fehn und Jonas gingen sich fortan aus dem Weg.
Es
Weitere Kostenlose Bücher