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Die Rose von Darjeeling - Roman

Die Rose von Darjeeling - Roman

Titel: Die Rose von Darjeeling - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Lott
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oder Gustav in Uniform auf Jersey zeigten.
    »Gut. Je weniger Blutvergießen, desto besser«, erwiderte sie schließlich gefasst.
    Die Taintsworths besaßen ein Stadthaus in London. Kathryn überlegte, was alles zu packen war. Ihr Sohn Charles lebte bereits seit einigen Monaten in dem von Alfred ausgewählten Internat.
    Die Evakuierung fand im Juni 1940 statt. Wie viele der Einwohner entschieden sich auch Aashmi und Mr Singh in letzter Sekunde, doch auf Jersey zu bleiben. Mr Singh hatte ein knappes Jahr zuvor endlich sein Schneideratelier in Saint Helier eröffnet und wollte nicht noch einmal von vorn anfangen.
    »Die Deutschen haben große Sympathie für Gandhi«, erklärte er Kathryn und Alfred. »Sie werden einem indischen Schneider nichts tun.«
    Aashmi weinte, als Kathryn sie zum Abschied umarmte. »Ich kann euch ja verstehen. Viel Glück.«
    Der Lord überreichte Mr Singh einen Schlüssel für das Herrenhaus. »Vielleicht können Sie ab und zu nach dem Rechten sehen.« Das Ehepaar versprach es.
    Niemand ahnte, dass sie sich fünf Jahre lang nicht sehen würden. Ein Fünftel der Bevölkerung ließ sich evakuieren, gut zwanzigtausend Menschen. Die meisten blieben. Woher auch sollten sie wissen, dass ihre Heimat für fünf Jahre zu einem Gefängnis für sie werden würde?
    Am 1. Juli 1940 besetzten die Deutschen Jersey. Sie glaubten zunächst noch, der Blitzkrieg würde sich mit einer raschen Eroberung Großbritanniens fortsetzen. Hitler schlachtete es propagandamäßig weidlich aus, dass mit der Besetzung der Kanalinseln deutsche Soldaten auf englischem Boden standen. Als ein Quartier wählten die Offiziere Greenville Manor.
    Der erst sechsjährige Mo Singh, Aashmis Sohn, wurde von ihnen mit kleinen Dienstbarkeiten beauftragt und als eine Art Maskottchen angenommen. Die Deutschen fanden ihn putzig, er achtete mit kindlichem Ernst darauf, dass die Salons pfleglich behandelt wurden. Wenn einer der Offiziere mit schmutzigen Stiefeln durch die Räume marschierte, holte er unaufgefordert Besen und Schaufel. Der Junge fühlte sich verantwortlich für das Herrenhaus, er liebte es mehr als sein eigenes Zuhause.

London
    Juli bis August 1940
    Lord Taintsworth lief in London zu Hochform auf. Kathryn staunte über ihren Mann. Seit er gebraucht wurde und sich in den Machtzirkeln des British Empire bewegte, lernte sie – nach zehn Jahren Ehe – einen ganz anderen Alfred kennen. Die Lebensgefahr stimulierte ihn wie andere Menschen die Liebe.
    »Die deutschen Bomber brauchen nur fünf Minuten, um über den Ärmelkanal zu fliegen«, warnte er. »Wenn sie London angreifen, solltest du mit Belle nach Schottland ziehen.«
    »Wir schauen mal, wie sich die Königsfamilie verhält«, sagte Kathryn. »Solange sie bleibt, bleiben wir auch.«
    Alfred arbeitete bis zu sechzehn Stunden am Tag. Kathryns Respekt für ihn stieg. Wie rührend unpraktisch er sich jedoch im Alltag anstellte, bemerkte sie erst im neuen Umfeld. Er war noch nie in seinem Leben U-Bahn gefahren und hatte keine Ahnung, wie man ein Busticket löste.
    Im August 1940 begannen die Deutschen ihren Großangriff auf England. Ab September bombardierten sie Tag und Nacht britische Städte, vor allem London. Das ganze Land versuppte in Tarnfarben, nachts verdunkelte man Fenster und sonstige Lichtquellen. Das Leben war vollkommen anders als gewohnt. Bedroht, intensiv, gefährlich, ganz gegenwärtig im Hier und Jetzt.
    Kathryn verdrängte, dass sie um deutsche Freunde bangte. Sie hasste die Feinde, die sich nicht mehr auf militärische Ziele beschränkten, sondern ohrenbetäubend laut über die Dächer flogen, Häuser zerstörten, Menschen töteten, Elend brachten. Kathryn quälten keine Schlammlawinenträume mehr. Ihre Tage der Melancholie blieben angesichts der realen Bedrohung aus. Als sie nach einem Luftangriff die zerstörten Häuser rund um die stehen gebliebene St. Paul’s Cathedral sah und beobachtete, dass die Menschen, noch während die Qualmwolken über die Ruinen zogen, statt weißer Fahnen trotzig die Nationalflaggen hissten, erfasste auch sie glühender Patriotismus. Die Bombardierung stärkte nur den Widerstandgeist des britischen Volks. Es schien, als spielten Standesunterschiede keine Rolle mehr. Die Royals blieben, und Kathryn blieb auch.
    Kathryn hatte sich wie die meisten Londoner angewöhnt, nicht gleich beim ersten Alarm Schutz zu suchen, sondern zu warten, bis sie das Knattern und Brummen der Flugzeugmotoren hörte. An diesem Tag hatte sie sich beim

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