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Die Rose von Darjeeling - Roman

Die Rose von Darjeeling - Roman

Titel: Die Rose von Darjeeling - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Lott
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schleuderte sie ihm in grimmiger Anklage entgegen, triumphal, als sei sie ihnen auf die Schliche gekommen. »Euch beide hab ich gesehen, in eindeutiger Situation.«
    »Im Traum?«, wiederholte er fassungslos. »Ivy, du bist ja nicht bei Verstand!«
    »Eva, bitte!«
    »Jetzt reicht es aber!« Gustav versuchte, seinen Zorn im Zaum zu halten. Er atmete tief durch. »Du bist überreizt. Es gibt keinen Grund, eifersüchtig zu sein. Aber wenn du so weitermachst, kann ich für nichts garantieren …«
    »Ach!«, ihre Stimme überschlug sich. »Du drohst mir?« Ivy knallte die Flügeltür des Wohnzimmers so fest zu, dass die geschliffenen Glaseinsätze klirrten.
    In was für ein Leben bin ich eigentlich geraten?, fragte sich Gustav. Wie konnte es passieren, dass ich mit einer Frau, die ich weder liebe noch verstehe, ja nicht einmal verstehen will, ausgerechnet bei den Kaffeesäcken in Bremen gelandet bin? Und das auch noch als Handlanger einer Partei, die mir immer suspekter wird.
    Während seiner regelmäßigen Bahnfahrten nach Leer fiel Gustav eines Tages eine rotblond gelockte, sommersprossige Frau auf. Sie stieg in Oldenburg zu. Wahrscheinlich wäre sein Blick nicht an ihr hängen geblieben, wenn sie nicht genau dem Bild jener »Schlampe« entsprochen hätte, von der Ivy seit Monaten fantasierte.
    Wochenlang lächelten Gustav und die Rotblonde sich nur an. Sie wurden unbekannte Bekannte. Dann grüßten sie sich. Und schon in diesem Stadium wussten sie beide, wohin es führen würde.
    Schließlich unterhielten sie sich. Die junge Frau, Hendrike, tat Gustav wohl mit ihrer Freundlichkeit. Ihr Mann war bei der Marine, Kinder hatten sie noch keine. Sie arbeitete als Hauswirtschafterin auf einem Gut in Ostfriesland. Man verabredete sich zu einem Essen, man kam sich näher.
    Gustav mietete eine kleine Wohnung in Leer. Offiziell, um in den unsicheren Kriegstagen auch mal über Nacht bleiben zu können, denn immer öfter brachten Sonderzüge fürs Militär die Fahrpläne durcheinander. Aber hauptsächlich, um sich dort mit Hendrike den Freuden der Liebe hinzugeben.
    Die Ostfriesin war unkompliziert, lustig und warmherzig. Hendrike sah ihr Arrangement ganz pragmatisch. Sie mochte Gustav, sie brauchte ab und zu einen Mann im Bett, und er besserte ihre Teeration deutlich auf.
    Zu Beginn des Krieges sollten gemäß den neuen Rationierungsmaßnahmen jedem Ostfriesen wie jedem anderen Deutschen pro Monat nur zwanzig Gramm Tee zustehen, was zu einem Aufschrei der Empörung geführt hatte. Der normale Pro-Kopf-Verbrauch lag mehr als zehnmal höher. Gustav warnte die Verantwortlichen in Berlin.
    »Die sonst so treuen und gutmütigen Ostfriesen sind bereit, für ihren Tee auf die Barrikaden zu steigen. Die Volksstimmung im Bezirk Weser-Ems ist angespannt, die Menschen reagieren äußerst ungehalten. Ich empfehle aus der Kenntnis des ostfriesischen Charakters heraus, die monatliche Teeration mindestens zu verdoppeln.«
    Tatsächlich erhöhte man die Ration daraufhin in so genannten Teetrinkerbezirken auf vierzig Gramm pro Monat, allerdings wurde sie nach einiger Zeit auf dreißig Gramm gesenkt.
    Tee galt nun als »der schwarze Hausfreund«, als zweite Währung und Tauschobjekt. Für ordentlichen Tee tat ein Ostfriese einiges. Hendrike verabscheute die aus Aromastoffen und Zucker gepressten Teetabletten, bei denen einige ihrer Landsleute und Leidensgenossen Trost suchten. Da machte sie sich doch lieber ein paar schöne Stunden mit Gustav ter Fehn und nahm dessen Dankbarkeit in Form einiger Päckchen qualitativ guten Tees an – auch wenn er nicht so kräftig schmeckte wie die Vorkriegsware und im Aufguss heller schien. Gustav behauptete, es sei besonders feiner Tee aus einem Königreich im Himalayagebirge. Das nahm sie ihm nicht ab. Aber er schmeckte besser als diese Teetabletten oder das Gesöff aus Brombeerblättern.
    Was niemand sonst wusste, war, dass Gustav große Bestände seiner Sikkim-Tees von Colonel Robbins kurz vor Beginn des Krieges nicht ganz ordnungsgemäß deklariert und gebunkert hatte. Etliche Blechkisten lagerten im Alkoven, einem der traditionellen Schrankbetten in seinem Ammerländer Ferienhaus am Zwischenahner Meer. Ihr Inhalt half ihm, Päckchen für Päckchen sorgfältig abgefüllt, durch die schweren Jahre.

Westerstede
    April 1946
    Gesine riss eine Reihe kleiner Rhododendren nach und nach aus der Erde und warf sie auf einen Haufen. Sie achtete nicht darauf, ob die Wurzelballen verletzt wurden, denn es war völlig

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