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Die Rose von Darjeeling - Roman

Die Rose von Darjeeling - Roman

Titel: Die Rose von Darjeeling - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Lott
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die Welt, sie flog, nein, sie wurde magisch angezogen von einem einzigen Ziel … Kathryn. Carl sah die geliebte Frau vor sich, es musste ihr Schlafzimmer auf Jersey sein, und er konnte empfinden, was in ihr vorging.
    Kathryn wälzte sich unruhig in ihrem Bett hin und her, sie machte sich Sorgen um ihn. Seit Wochen spürte sie immer weniger das mit Worten kaum fassbare Von-Herz-zu-Herz-Gefühl, das sie sonst all die Jahre hatte wahrnehmen können, wenn sie sich nur dafür öffnete. Gerade in den letzten Tagen fühlte es sich so an, als würden irgendwo in weiter Ferne Carls Kräfte dramatisch schwinden.
    Hatte man im Krieg nicht öfter Geschichten gehört von Frauen, die ganz genau die Todesminute ihres Geliebten an der Front empfunden hatten?
    Kathryn wusste, dass er in allergrößter Not war, dass er in Lebensgefahr schwebte. Plötzlich schreckte sie hoch und schaute mit weit aufgerissenen Augen ins Dunkel. »Carl?«, flüsterte sie wider alle Vernunft, »bist du hier?«
    Carl sah, wie Kathryn aufstand, ihren Morgenmantel überzog und in den Garten hinaustrat. Die Rhododendren blühten. Barfuß ging sie über den feuchten Rasen. Sie schloss die Augen. Intuitiv ließ sie sich leiten. So kam sie zum gelben Rhododendron luteum. Tief sog sie seinen Duft ein.
    »Carl, wo immer du bist«, sagte sie leise, während sie ihr Gesicht dem Mondlicht zuwandte, »ich schicke dir meine ganze Kraft und Liebe. Halte durch, steh auf, geh weiter, gib nicht auf! Wir werden uns wiedersehen.«
    Die georgische Lagerärztin machte ihren Kontrollgang. Erstaunt registrierte sie, dass der Mann auf dem Einzelbett immer noch atmete.
    Sie verfügte, dass er und einige andere Kranke bei den milden Temperaturen mit ihren Pritschen vor das Lazarett ins Sonnenlicht gelegt werden sollten. Die Medikamente reichten bei weitem nicht für alle Patienten. So war sie immer wieder zu Willkürakten gezwungen. Manchmal half ein fremder Reiz als Anstoß für Heilungsprozesse. Mehr als sterben konnte dieser Deutsche nicht.
    Das Gelände um das Lazarett herum wirkte vernachlässigt, verwildert. Zwischen Gerümpel und Gebüsch blühten auch Rhododendren, darunter ein gelber luteum, dessen betäubender Duft Carls Nase kitzelte.
    »Kathryn …« Er öffnete die Augen.
    Die Ärztin beugte sich über den Deutschen mit den welligen braunen Haaren. Es war wirklich ein Wunder, dass er immer noch nicht tot war. Er sah sie an. Carls blaue Augen gefielen ihr. Die Liebe in seinem Blick … Sie wusste, dass sie nicht ihr galt. Aber dieser Ausdruck berührte etwas tief in ihr.
    Aus einem Gefühl heraus, das sie nicht näher bestimmen konnte, gab sie ihm von den kostbaren Medikamenten und machte seine Genesung zu ihrem erklärten persönlichen Ziel. Sie besuchte ihn jeden Tag, versorgte ihn, baute ihn langsam wieder auf.
    Im Herbst kam Carl wieder in das Arbeitslager. Als im Frühjahr 1947 eine Kommission eintraf, um zu prüfen, wer nach Deutschland zurückgeschickt werden sollte, gehörte Carl zu seiner großen Überraschung dazu. Die Männer mussten vor der Kommission, die hinter einem großen Tisch saß, defilieren, sich von allen Seiten zeigen. Carl erkannte die Lagerärztin wieder. Beide, längst geübt in der Beherrschung von Gefühlen, ließen sich nicht anmerken, dass sie einander kannten. Carl ging absichtlich schleppender.
    Der Kommissionschef kannte solche Tricks. »Der ist doch noch jung, der kann noch arbeiten«, meinte er nach der Begutachtung
    Die Lagerärztin warf einen Blick in ihre Akten. Wie beiläufig erwähnte sie: »Oh, dieser Mann stand unter Tuberkuloseverdacht.«
    »Nichts wie weg mit dem!« Der Leiter hatte seine Entscheidung getroffen.

Ammerland
    Frühling 1947
    »Frau Jonas«, rief die Haushälterin aufgeregt, »da ist ein R-Gespräch. Wollen Sie das annehmen?«
    Gesine eilte ins Büro. »Ja, Jonas?«
    »Einen Augenblick, bitte«, flötete das Fräulein vom Amt.
    Eine ferne Männerstimme, rau und kratzig, klang durch den schwarzen Hörer. »Gesine? Ich bin’s.«
    Gesines Herz setzte einen Schlag aus. »Carl?«
    »Ja. Ich bin jetzt in Münster, komm mit dem nächsten Zug nach Westerstede.«
    »Carl!«
    »…«
    Gesine hörte ihn atmen. »Wir holen dich ab.«
    »Ja … Bis dann.«
    Es klackte in der Leitung. Das Geräusch bedeutete wohl, dass Carl aufgelegt hatte. Gesine hielt den Hörer mit beiden Händen umklammert, ließ sich auf einen Besucherstuhl sinken.
    »Carl lebt …«, flüsterte sie. Die Haushälterin starrte sie mit Tränen in den

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