Die Rose von Darjeeling - Roman
Kartoffeln und Gemüse anzupflanzen …«
»Wir müssen sämtliche Ziersträucher und Zierstauden entfernen, das heißt auch, alle Rhododendren werden vernichtet«, Gesine putzte sich die Nase. »Natürlich versuchen wir zu retten, was zu retten ist. Mein Schwiegervater sorgt gerade dafür, dass die Rhodos, die wir am besten verkauft haben, umgepflanzt werden in unseren privaten Kiefernwald.« Aber sie hatten zu wenig Zeit und Mitarbeiter. »Was guter Boden für Rhodos ist, passt nicht für Gemüse und umgekehrt. Wir müssen jede Menge Erde austauschen. Es ist ein Wahnsinn!«
Gesine seufzte. Das wuchs ihr alles über den Kopf. Drei Kinder, die fremden Leute im Haus, ständig klopften unterernährte Städter mit Rucksäcken an die Tür und wollten gegen ihre letzten Wertgegenstände Speck oder Butter eintauschen. Was hatte sie sich schon alles eingehandelt: Kochtöpfe, Bügeleisen, Kleiderstoffe, Teppiche, Meißener Porzellan, eine Jugendstilbrosche, zwei Teppiche, Leinentücher, die bis an ihr Lebensende reichen würden – gegen Obst, Mehl, Kartoffeln, Speck, Gemüse, Öl, Rübensirup. Das Schlimme war: Wenn man einem aus Mitleid oder Sympathie was gab, kamen zehn andere hinterher. Manche klauten, was sie sonst nicht kriegen konnten. Eigentlich klaute jeder irgendwie. Was er nicht selbst brauchte, nützte ihm als Tauschobjekt. Im Kohlenpott setzten sich die Frauen von Bergarbeitern nachts um drei in den überfüllten Hamsterzug nach Oldenburg und versuchten auf dem Lande die Extraration Tee, die ihre Männer für die harte Arbeit unter Tage erhielten, in Essbares zu tauschen.
Nein, Gesine wollte nicht jammern, andere hatten es viel schwerer. Aber leicht war es, verdammt noch mal, auch nicht. Sie musste sich nämlich zudem um ihre Familie kümmern. Ihr Bruder litt an den Folgen einer Kriegsverletzung. Granatsplitter in seinem Rücken wanderten und machten ihm das Leben an manchen Tagen zur Hölle. Gesine hetzte in den wenigen Arbeitspausen nach nebenan und half auf dem Hof mit. So blieb in der Baumschule immer etwas unerledigt, jetzt wo die französischen und polnischen Zwangsarbeiter fort waren, die man ihnen während des Krieges als Ersatz für die eingezogenen Gärtner und Arbeiter zugeteilt hatte. Und dann noch ständig die Sorge um Carl! Sie hatten ja alle inzwischen die Berichte heimgekehrter Soldaten gehört.
Gesine gab sich einen Ruck. »Wir müssen nach vorn sehen«, sagte sie. »Die Welt geht nicht davon unter, ob wir ein paar Topf- und Schnittblumen mehr oder weniger haben.«
»Wie kommst du jetzt darauf?«
»Wir dürfen ja auch die Treibhäuser nicht mehr beheizen, weil die Bevölkerung im Winter friert. Das ist Energievergeudung, findet die Militärregierung.«
»Gesine, sag, wenn ich irgendwas für euch tun kann …«, bot Gustav an. »Wir, Ivy, Hella und ich, wir wohnen ja jetzt in Aue, im alten Bauernhaus am Zwischenahner Meer, weil die Amis unsere Villa in Bremen konfisziert haben. Da ist einiges an Wald drumherum. Brennmaterial und Aale und Tee könnte ich dir jederzeit besorgen.«
Gesine lächelte schon wieder. »Ach, so ’n schöner Smoortaal, das wär mal wieder was Feines. Meine Schwiegermutter hat bald Geburtstag, wenn du uns da was zukommen lassen könntest? Was würde dir denn im Gegenzug gefallen? Schinken? Eine schöne luftgetrocknete Mettwurst?«
Sie einigten sich auf Mettwurst gegen Räucheraal.
»Und wenn Carl zurückkommt«, Gustav sagte absichtlich nicht »falls«, sondern »wenn«, »dann gebt mir bitte sofort Bescheid!«
Nachdenklich kutschierte Gustav über die bucklige Straße aus hochkant verlegten roten Klinkersteinen unter einer noch nicht ausgegrünten Eichenallee durch das Ammerland in Richtung Ostfriesland. Viele andere Bäume auf den Windschutzwällen zwischen den Ländereien und Weiden flirrten schon hellgrün im klaren Aprillicht. Die Hufe klackerten hohl, es roch nach Pferd und Pferdeäpfeln. Irgendein Gedanke wollte zu ihm, hing zum Greifen nahe in der Luft, aber Gustav bekam ihn nicht zu fassen …
Er legte eine Rast am Kanal im Augustfehner Hof bei der immer gut gelaunten Emmi ein. Gestärkt ließ er seinen Zossen eine Stunde später durch Holtgast traben, wo sich die Landschaft weitete und Ostfriesland begann. Der Kiebitz rief, unter dem hohen Himmel kreisten Möwen. Gustav roch das Wasser der Jümme. Über den eingedeichten Fluss und das flache grüne Land schweifte sein Blick viele Kilometer in die Ferne bis zu einer Reihe winzig klein scheinender
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