Die Rose von Darjeeling - Roman
der heimischen Baumschulen betrachtete. Nein, für ihn umwehte die Sträucher ein Hauch von Exotik, Ferne und Abenteuer!
Carl schmunzelte in sich hinein. Tibet war damals mit der Gefangennahme der beiden bekannten Persönlichkeiten vielleicht beruhigt, aber die Briten konnten sich ein solches Verhalten natürlich nicht bieten lassen. Sie ließen nach diesem Affront Soldaten in Sikkims Hauptstadt einmarschieren. Die Gefangennahme Hookers und Dr. Campbells diente ihnen als ein wunderbarer Vorwand dafür, Darjeeling jetzt endgültig zu annektieren und sich später noch weiterer Gebiete Sikkims zu bemächtigen.
»Es wird sich nicht wiederholen«, ergriff nun Gustav das Wort. Er blickte offen und ernst. Kathryn bewunderte seine Souveränität. »Geschichte wiederholt sich nicht.«
Der Polizeipräsident zog eine Augenbraue hoch. »So? Weshalb sollten wir das Risiko überhaupt eingehen?«
Es bereitete ihm sichtlich Vergnügen, die jungen Männer argumentieren zu lassen. Kathryn spürte, wie ihre Achselhöhlen feucht wurden. Diese Situation war aufregender als ihre mündliche Abschlussprüfung in Mathematik.
»Weil«, antwortete Gustav, »nur Offenheit für Neues die Welt weiterbringt. Nur sie hat schließlich auch Darjeeling zu dem gemacht hat, was es heute ist!«
Er wechselte einen Blick mit Carl. Die Rhododendronsuche in Sikkim, nur ein ganz kleines Webmuster im Teppich der Welthistorie, war eng verwoben mit der Geschichte des Teeanbaus. Das hatte sowohl Carl als auch Gustav immer schon fasziniert: Diese schicksalhafte Nähe der Pflanzen – einmal im fernen Himalaya und zum anderen zu Hause in Ostfriesland und im Ammerland. Die eine Region mit extremen Temperaturunterschieden lag im höchsten Gebirge der Welt, die andere mit ausgesprochen mildem Klima im Flachland am Meer. Gegensätzlicher ging es kaum, und dennoch existierte da diese seltsame Verbindung, die sie darin bestärkt hatte, dass sie unbedingt in den Himalaya reisen mussten.
Ungeniert schlürfte der Polizeipräsident seinen Tee aus der Schale. Seine schwarzen Augen wanderten von einem zum anderen. »Sie meinen die Entstehung der Teegärten?«
»Ganz recht!«
Die Hooker-Geschichte hatte sich kurz nach einer anderen richtungweisenden Begebenheit zugetragen. Ein als chinesischer Bauer verkleideter Brite hatte zwanzigtausend Teesträucher aus China herausgeschmuggelt. Erste Experimente im Distrikt von Darjeeling hatten zuvor bereits gezeigt, wie hervorragend der Tee hier gedieh. Der allererste Teestrauch wuchs ausgerechnet im Garten von Dr. Archibald Campbell. Er hatte anno 1841 versuchsweise Teesamen ausgesät, die er von einer Reise durch China mitgebracht hatte. Das sollte sich noch als großer Glücksfall für die Engländer erweisen. Mit China, dem bis dahin einzigen Teelieferanten, gab es Mitte des 19. Jahrhunderts große Schwierigkeiten. Die Teequelle sprudelte nicht mehr wie einst. Der erste Opiumkrieg zwischen beiden Staaten hatte bereits stattgefunden, ein zweiter sollte folgen. Die Chinesen mussten diese Kriege führen, um sich und ihre Ehre zu retten. Denn die Briten hatten sich angewöhnt, über illegale Zwischenhändler ihren Tee in China mit Opium aus Bengalen zu bezahlen.
Gustav verachtete zutiefst, wie die Krone sich ihre Weltmacht verschafft hatte. Über zwei Jahrhunderte hatte sich ein gefährlicher Kreislauf entwickelt. Aus Schlafmohn, der in Bengalen heranreifte, wurde Opium gewonnen. Die Zwischenhändler waren skrupellose Einzelkämpfer und Kapitäne, die sogenannten »Chinahändler«. Sie erledigten die Drecksarbeit für die britische Krone. Offiziell durfte das natürlich nicht laut werden. Die Regierung machte sich nicht selbst die Hände schmutzig. Sie erteilte lediglich das Monopol auf den Handel der Ostindischen Handelsgesellschaft, einem Zusammenschluss von Kaufleuten in einer Aktiengesellschaft, die halb in Privatbesitz und halb öffentlich-rechtlich war. Das Verfahren hatte sich bewährt. Bevor der Staat Großbritannien in einem fremden Land Kolonialmacht wurde, bereitete vorab stets ebendiese Handelsgesellschaft das Terrain.
Kaum hatten die Engländer angefangen, von Indien aus auf Schiffen Gewürze, Seide, Baumwolle oder andere »Kolonialwaren« zu exportieren, legten sich Piraten auf die Lauer. Ihre Überfälle bedrohten den Handel immer stärker. Die Kaufleute lernten, sich zu wehren, sie forderten zudem militärische Unterstützung aus der Heimat und erhielten sie. Die Handelsgesellschaft agierte nicht nur in Indien,
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