Die Rose von Darjeeling - Roman
sondern unter anderem auch in China.
Dort waren zu Beginn des 19. Jahrhunderts die meisten kaiserlichen Beamten und, wie es hieß, mehr als die Hälfte der Bevölkerung opiumsüchtig. Da die chinesischen Kaiser ihren Tee nur gegen Silberbarren verkauften, wovon die Briten aber nicht ausreichend besaßen, musste die Ostindische Handelsgesellschaft sich irgendwie mehr von diesem Zahlungsmittel beschaffen. Skrupellos förderte sie deshalb die Drogensucht der chinesischen Führungsschicht. Die Elite ließ sich ihren Stoff, den Schlafmohn, viel kosten. Sie bezahlte also ihr Opium mit Silberbarren bei den Chinahändlern, die erwarben damit Nachschub von der Ostindischen Handelsgesellschaft in Bengalen. Und die konnte dann doch Tee aus China mit Silberbarren bezahlen.
Da Opium aber süchtig macht und wie jede Sucht nach Steigerung verlangt, bis sie in den Tod mündet, entwickelte sich auch dieser Kreislauf höchst ungesund. Die Handelsbeziehungen zwischen England und China gerieten zunehmend aus der Balance. Alles spitzte sich auf ein dramatisches Ende zu. Es war absehbar, dass die einzige Teequelle der Welt für alle Menschen außerhalb Chinas versiegen würde.
Fieberhaft suchten die Briten deshalb nach neuen Anbaugebieten für ihren heißgeliebten und einträglichen Tee. Dafür bot sich nun Darjeeling an. Also mussten sie unbedingt in den Besitz dieser Region kommen.
So erwies sich die Gefangennahme von Sir Hooker und Dr. Campbell auch als entscheidend für den Teehandel. Sie diente als willkommener Anlass, die Angelegenheit endlich klar zu Gunsten der Briten zu regeln. Ihre Truppen brauchten in Sikkims Hauptstadt keine Gewalt anzuwenden. Ein bisschen Säbelrasseln reichte schon – nach einem Monat kamen Hooker und Campbell frei. Die Apanage für den König von Sikkim wurde komplett gestrichen, und in der Hauptstadt Gangtok residierte fortan direkt neben dem Palast ein britischer »Berater«.
Während sie höflich an ihrem salzig-ranzigen Tee nippten, begriffen Carl und Gustav, dass der König von Sikkim noch immer versuchte, sich mit allen Großen gutzustellen und keinen zu verärgern. Aus diesem Grund hatte der Polizeipräsident ihnen bisher keine Zusage erteilt.
»Vielleicht fürchten Sie sogar, wir könnten Spione sein?« Carl lachte, als sei ihm ein besonders guter Scherz gelungen.
Der General musterte ihn scharf. Auch Hooker hatte damals angeblich nur eine botanische Expedition unternehmen wollen. Doch die von ihm aufgezeichneten Landkarten leisteten den britischen Militärs große Orientierungshilfe, als sie später zweimal in Tibet einmarschierten. Die Tibeter fühlten sich bedroht, wenn sich Europäer an ihren Grenzen herumtrieben.
»Selbst ein Zufall oder ein Missgeschick kann erneut für diplomatische Verwicklungen sorgen«, erklärte der Polizeipräsident mit undurchdringlicher Miene. Seine Stimme klang ablehnend.
Kathryn spürte ebenso wie Gustav und Carl, dass es nicht gut stand. Wie konnten sie ihn nur überzeugen, dass sie wirklich nichts anderes als privates beziehungsweise botanisches Interesse zu dieser Reise antrieb?
Gustav hatte plötzlich einen Einfall. Er entschloss sich, den Ursprung ihres Plans zu erzählen. Auch Kathryn hörte die Geschichte zum ersten Mal.
»Sie sind General, nicht wahr?«
Der Tibeter antwortete nur mit einem Lidschlag.
»Mein Vater und der meines Freundes kämpften Seite an Seite im großen Krieg«, begann Gustav, Carls überraschten Blick ignorierend, »und wir waren schon als Kinder Freunde.« Mit der Andeutung eines Lächelns hielt er seine Hand einen halben Meter über dem Boden. »Da waren wir noch so klein.« Dann machte er eine ausladende Geste. »Und die Welt war so groß.«
Carl erfasste jetzt die Absicht seines Freundes, er spielte den Ball zurück. »Abends trafen wir uns immer am Brunnen eines Nachbarn. Wir saßen auf dem Stein und guckten in den Himmel …«
»Ja, wir beobachteten den Mond und seine Bahn«, erzählte Gustav weiter. »Wir redeten darüber, wie hoch wohl der Himmel sei und wie tief wohl der Brunnen. Erinnerst du dich, Carl?«
Sein Freund nickte. »Manchmal war es ganz still, da regte sich kein Blatt. Von ferne hörte man höchstens eine Kuh brüllen.«
Gustav schluckte. »Eines Abends im November 1916 kam in diese Stimmung mein Großvater. Wir malten uns gerade aus, dass wir, wenn wir groß wären, nach Indien reisen wollten. Nach Darjeeling. Meine Familie ist ja seit Langem im Teegeschäft, Carls Familie hat eine Baumschule, in der
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