Die Rose von Darjeeling - Roman
Rhododendren gezüchtet werden. Das war unser Kindertraum – nach Darjeeling und nach Sikkim, in das letzte Shangri-La der Welt. Und mein Großvater …«
Er hielt inne, weil seine Stimme kippte. Carl sprach nun weiter. »Der alte ter Fehn setzte sich zu uns auf den Stein. Er sagte: ›Gustav, dein Vater ist gefallen.‹« Carl atmete tief durch. Seine Stimme klang jetzt rauer. »Gustav hörte in der Minute auf zu sprechen. Wochenlang sagte er kein Wort mehr, er war wie versteinert. Bis ich ihn eines Tages anschrie. ›Wie willst du eigentlich in Indien nach dem Weg fragen, wenn du nicht mehr sprichst?‹ Da konnte er endlich weinen und trauern.«
Jetzt ergriff sein Freund wieder das Wort. »Carl hat mich gerettet … und getröstet. ›Eines Tages reisen wir nach Darjeeling‹, sagte er. Diese Idee wurde konkreter, je älter wir wurden. Carl entwickelte eine Leidenschaft für Rhododendren und ich für Tee. So fügte sich eines zum anderen.«
Carl stand auf, schritt hin und her. »Wir gingen beide nach England, um von Experten unseres Fachs zu lernen und um die Sprache zu studieren. Wir haben hart trainiert, um uns für die Strapazen zu wappnen. Wir haben den Spott anderer Leute ausgehalten und eisern gespart. Aber jetzt sind wir in Darjeeling angekommen.« Carl blieb stehen. »Ja, und deshalb müssen wir auch noch nach Sikkim, Sir.«
Der Polizeipräsident fixierte ihn mit funkelndem Blick und schüttelte den Kopf. Das Perlengehänge an seinem goldenen Ohrschmuck pendelte hin und her. Sie hörten ein Pferdefuhrwerk vorbeirattern, und aus einem anderen Raum drangen Klänge eines exotischen Saiteninstruments, auf dem jemand übte.
Kathryn traute sich kaum zu atmen. Wer würde jetzt noch den heiklen Punkt mit den zwei zusätzlichen Reisenden ansprechen? Würde Gustav das Wort ergreifen oder Carl? Oder sollte sie etwa … Und wäre es nicht doch zu gefährlich? Vielleicht wäre diese Bitte der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Ratlos ließ Kathryn ihren Blick von Carl zu Gustav wandern und wieder zurück.
»Welche Route wollen Sie nehmen?«, fragte der Tibeter nun streng.
»Über die Flussgrenze«, antwortete Carl knapp, »über die seitlichen Bergkämme bis Gangtok und weiter über die Hochtäler von Lachen und Lachung zum Zemu-Gletscher, wenn alles gut läuft, noch einen Abstecher nach Yumthang.« All diese Orte lagen weit entfernt von der tibetischen Grenze.
Endlich ging ein Lächeln über das Gesicht des Polizeipräsidenten. »Nun, wie ich gehört habe, will ein sehr ehrenwerter Mann, mein Freund Tsarong, sich ein Stück des Weges Ihrer Expedition anschließen.« Sein Freund Tsarong, obgleich deutlich jünger, war doch schon äußerst geschäftstüchtig und hatte ihm bei der Vermittlung eines Grundstückskaufs geholfen. Es gefiel ihm, dass er sich nun mit einem Gefallen bei ihm revanchieren konnte. »Auch eine junge Dame aus Darjeeling würde gern das sichere Geleit in Anspruch nehmen.« Er schnäuzte sich. Die Geschichte hatte sein Kämpferherz gerührt. »Sie erhalten die Genehmigungen.« Schlau blickte er die Fremden aus seinen schmalen Augen an. »Und ich gebe Ihnen einen tüchtigen Lieutenant Colonel mit, Mr Robbins. Er wird Ihnen als Übersetzer und bei Verhandlungen mit den Trägern eine wertvolle Hilfe sein.«
Carl, Gustav und Kathryn wussten nicht, wie ihnen geschah. Am liebsten wären sie in lautes Jubelgeschrei ausgebrochen, aber das geziemte sich nicht in einer solchen Situation. Sie bekamen nicht nur ihre Genehmigung, nein, der Polizeipräsident hatte auch das Problem um Sam und Tsarong gelöst, ohne dass sie irgendetwas hatten unternehmen müssen. Dieser Colonel sollte sie gewiss überwachen, doch sie hatten ja nichts zu verbergen, und ein guter Übersetzer konnte ihnen nur willkommen sein.
Sie bedankten sich sehr freundlich, aber beherrscht. Der Tibeter geleitete sie zur Tür, wo er sich noch einmal an Kathryn wandte.
»Und richten Sie Ihrem Vater aus, dass ich mit Freude an der Tigerjagd teilnehmen werde.«
»Juuchuu!«
Auf dem höchsten Aussichtspunkt der Mall ließen sie ihrer Freude freien Lauf. Gustav umarmte eine Birke, Carl sprang über eine Absperrung und verschreckte eine gouvernantenhafte Engländerin.
Kathryn drehte sich um ihre eigene Achse, bis ihr schwindlig war. »Ich fühl mich richtig beschwipst.« Sie lachte und hielt sich keuchend an den Männern fest. Dann wies sie mit großartiger Geste auf die Stadt. »Das, meine Herren«, sprach sie im Tonfall eines
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