Die Rose von Darjeeling - Roman
sich dort aus. Seine Familie betreibt seit Ewigkeiten Im- und Export auf dem alten Handelsweg zwischen Tibet und Indien, der mitten durch Sikkim führt.«
Der schwarz-weiße Hund begann jetzt zu bellen. Er ließ sich nicht vertreiben, offenbar standen sie in seinem Revier. Ein Straßenhändler rollte seine Garküche mit frittiertem Gemüse an ihnen vorüber.
»Gut«, befand Gustav. »Wir wollen zwar in Gebiete, die kaum je ein Mensch betreten hat, aber in Sikkim existieren schon seit Jahrhunderten auch Verkehrswege. Zwischen den Dörfern und der Hauptstadt Gangtok.«
Carl wollte noch keine Entscheidung treffen. »Wir sehen mal, wie sich das Gespräch mit dem hohen Herrn gleich entwickelt«, sagte er.
Plötzlich kam Kathryn eine wagemutige Idee. Nehmt ihr mich auch mit?, wollte sie fragen, doch sofort war ihr klar, dass Carl und Gustav darauf nur eine Antwort haben würden: Nein, nein und nochmals nein. Und ihr Vater würde ihr ohnehin nie im Leben die Erlaubnis geben.
Als hätte jemand »Sesam öffne dich« gerufen, standen die Tore zum Haus des Polizeipräsidenten ihnen nun offen. Der Schreiber, der sie am Vormittag noch zurückgewiesen hatte, geleitete sie höflich in einen üppig dekorierten Raum. Gustav und Carl staunten nicht schlecht. Sie hatten nicht gewusst, dass die tibetische Führungsschicht derart kultiviert residierte.
»Der chinesische Einfluss ist doch unverkennbar«, entfuhr es Gustav, der aufmerksam die ebenso farbenfroh wie prächtig mit buddhistischen Schutzgottheiten oder anderen religiösen Motiven bemalten Wandbehänge studierte. Er hatte schon einmal von diesen Thangkas genannten Rollbildern gehört, deren Anblick die Meditation vertiefen sollte. Überall hingen oder lagen Stoffe und Überwürfe, mit Blumenranken, Jagdszenen oder Dämonen bestickt, tibetische Teppiche mit landestypischen Mustern in Krapprot, Indigoblau, Gelb und Grün. In einer Schale, die auf einem Beistelltischchen stand, glomm ein Räucherstäbchen, es duftete nach Sandelholz.
Die Sitzmöbel waren niedrig und kunstvoll verziert mit bunt bemalten Schnitzereien. Kathryn erkannte Schneelöwen, Drachen und Pfauen. Sie bewunderte eine alte Buddha-Figur, die im flackernden Schein einer Butterlampe fast lebendig wirkte, und erkannte jetzt erst, dass der Polizeipräsident im Halbdunkel danebensaß. Ein alter Haudegen mit einem runden Gesicht und ausgeprägten Tränensäcken unter den schmalen Augen. Er thronte auf einer gepolsterten Bank, deren breite Rückenlehne einem Betthaupt ähnelte. Vor ihm stand eine reich dekorierte Truhe, die als Tisch diente. Der Tibeter strich bedächtig über das helle Halstuch, das er in den Ausschnitt seines wattierten, gegürteten Seidenkimonos gesteckt hatte. Seine Haare waren zu zwei Zöpfen geflochten und hoch am Hinterkopf zu kleinen Knoten gedreht, über dem Scheitel prangte ein Schmuckstück. Freundlich wirkte er nicht gerade, doch auch nicht böswillig.
Auf Englisch sagte er: »Nehmen Sie Platz!«
Verwirrt überlegten die Deutschen, wo. Kathryn konnte Carl gerade noch elegant davon abhalten, sich auf einem Teetischchen niederzulassen. Sie deutete auf etwas, das er für einen Fußschemel gehalten hatte – offenbar eine Sitzgelegenheit.
Eine Seitentür ging auf, und eine Schönheit in einem hinreißenden Gewand betrat den Raum. »Meine Tochter«, stellte der Polizeipräsident vor.
Sie bot ihnen Tee an. Carl und Gustav fielen fast die Augen aus dem Kopf, so verblüffte sie die exotische Anmut der jungen Frau, die ihnen nun Porzellanschalen reichte und einschenkte. In diesem Moment fand Kathryn sich in ihrem sportlich strengen Wollkleid ganz unscheinbar, und sie nahm sich vor, sich am Samstagabend für den Klub so richtig herauszuputzen.
Gustav verschluckte sich an dem ungewohnten Tee. Statt feinblumiger Aromen verwirrte der Geschmack von Salz vermischt mit dem von ranzigem Fett seinen geschulten Gaumen. Er schaffte es kaum, das Getränk, auf dem Fettaugen schwammen, nicht auszuspeien. Auch Carl verbarg eine Schrecksekunde.
»Yakbuttertee«, flüsterte Kathryn, sie nippte nur.
Höfliches Geplänkel eröffnete das Gespräch.
Kathryn gab die Einladung ihres Vaters zur Tigerjagd weiter. Und erwähnte, dass schon der Großvater von Gustav ter Fehn und ihr Großvater miteinander Teegeschäfte gemacht hätten. So hoffte sie, den mächtigen Mann von der Zuverlässigkeit ihrer Gäste überzeugen zu können.
Er lehnte sich mit verschränkten Armen zurück und sah sie aus seinen schmalen
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