Die Rose von Darjeeling - Roman
Augen an. »Können Sie sich vorstellen, weshalb ich bis jetzt gezögert habe, Ihnen die Genehmigung zu erteilen?«
»Vielleicht weil Sie fürchten, es könnte Schwierigkeiten geben wie damals bei Sir Hookers Sikkim-Expedition«, sagte Carl.
Die Miene des Polizeipräsidenten spiegelte Überraschung und Befriedigung. »Wie gut, Sie kennen die Historie. Dann wissen Sie auch, dass es in der Folge von Hookers Grenzüberschreitung zu kriegerischen Auseinandersetzungen kam.«
Kathryn wünschte in diesem Moment, sie hätte mehr über die Vergangenheit ihrer Heimat gelernt. Doch die Lehrer an ihrer Schule in Darjeeling waren zu beschäftigt damit gewesen, ihnen Glanz und Gloria des Mutterlandes auszumalen, und die Lehrer in den europäischen Internaten hatten meist nicht einmal gewusst, wo Darjeeling oder Sikkim überhaupt lagen. Hoffentlich sprach der Polizeipräsident sie nicht an, sie wollte sich auf keinen Fall vor ihren Freunden blamieren und schon gar nicht durch eine dumme Antwort deren Pläne gefährden.
»Ja, ich kenne die Geschichte«, erwiderte Carl zu ihrer Erleichterung. »Dadurch wurden auch die guten Beziehungen zwischen Sikkim und dem Britischen Empire verstärkt.«
Carl lächelte. Er wusste, das war hemmungslos schöngefärbt. In Wirklichkeit war es so gewesen, dass die Gurkhas, ein besonders kriegerisches Volk aus Nepal, mit ihrer Übermacht Sikkim bedroht hatten und der siebte König von Sikkim die Briten um militärische Unterstützung gebeten hatte. Britische Truppen, die im benachbarten Bengalen stationiert waren, vertrieben daraufhin die Eindringlinge. Im Gegenzug musste Sikkim sich erkenntlich zeigen und Land abtreten. So erhielten die Engländer 1835 als »Geschenk« den Bezirk Darjeeling. Und der König von Sikkim im Gegenzug eine jährliche Apanage aus London. Er war damit ein Vasall der britischen Krone. Das wiederum behagte dem anderen großen Nachbarn Sikkims, Tibet, ganz und gar nicht. Denn schon seit Jahrhunderten betrachtete Tibet Sikkim als seinen Vasallenstaat. Schließlich hatten Lamas, Geistliche aus Tibet, die Ureinwohner Sikkims von ihrem Glauben an Naturgeister zum Buddhismus bekehrt. Zur Krönung der geglückten Missionierung hatte Tibet 1641 den ersten König von Sikkim auf den Thron gehoben, selbstverständlich einen Tibeter. Er begründete die Dynastie, die immer noch regierte. Deshalb gaben auch Adlige tibetischer Herkunft, meist vom Stamme der Bhotia, in Sikkim den Ton an. Kein Wunder, dass Tibet hundert Jahre zuvor die neue enge Verbindung Sikkims mit den Briten ein Dorn im Auge gewesen war.
Carl dachte nicht ohne Respekt an die Frechheit, mit der Tibets Oberhaupt damals die Vereinbarung »Wir tauschen Darjeeling gegen eine Jahresrente für den König von Sikkim« schlicht als ungültig betrachtet hatte. Was aber wiederum zu Spannungen zwischen Tibet und Sikkim führte. Die Zahlungen trafen dann auch nicht immer wie vereinbart ein. Spitzfindige Politiker behaupteten, dieses Geld sei ja eine Art Pacht, und wenn die Pacht nicht einträfe, habe der Pächter auch keinen Anspruch auf das Gebiet. Darum gehöre Darjeeling eben doch nicht den Briten.
Der König von Sikkim bemühte sich sehr, den mächigen Nachbarn Tibet nicht weiter zu reizen. Deshalb zögerte er 1849 monatelang, dem Botaniker Sir Hooker und seinen Männern die Einreise in sein Land zu erlauben. Er hoffte, irgendwann würde der Pflanzenjäger schon die Geduld verlieren. Bis sich Dr. Archibald Campbell, der damals ranghöchste britische Regierungs- und Verwaltungsmensch in Darjeeling, zugleich Arzt und Leiter des Sanatoriums, ganz entschieden an Hookers Seite stellte. Irgendwann riss den Männern der Geduldsfaden. Sie beschlossen und taten dann kund, dass sie eben trotz der ausbleibenden Erlaubnis nach Sikkim aufbrechen würden. Als der König davon erfuhr, erteilte er doch rasch alle Einreisevisa, allerdings bestand er darauf, dass sich die Briten von den Grenzen zu Tibet fernhielten. Dr. Campbell reiste als Begleiter mit der mehrere Monate dauernden Expedition. Als Hooker es wagte, gegen das ausdrückliche königliche Verbot zu verstoßen und von Sikkim aus bis an die Grenze Tibets vorzudringen, ließ der König ihn und Campbell 1850 demonstrativ ins Gefängnis stecken.
Carl liebte diese Geschichte, seit er sie das erste Mal gehört hatte. Sie war, so fand er, ein schulbuchreifes Lehrstück. Vielleicht hatte sie sogar dafür gesorgt, dass er Rhododendren nicht als langweilige Pflanze im immergrünen Sortiment
Weitere Kostenlose Bücher