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Die Rose von Darjeeling - Roman

Die Rose von Darjeeling - Roman

Titel: Die Rose von Darjeeling - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Lott
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nahm einen Schluck Tee aus ihrer Feldflasche.
    Du wolltest ein Abenteuer, sprach sie sich in Gedanken Mut zu, hier ist es. Jetzt mach nicht schlapp, bevor du überhaupt die Grenze zu Sikkim erreicht hast.
    Kathryn besann sich auf alles, was sie über Pferde wusste. Pferde waren Fluchttiere, keine mutigen Angreifer. Es war natürlich möglich, dass die Tiere abstürzten. Das Risiko musste sie jetzt eingehen. Es war möglich, dass sie selbst mit ihnen hinunterfiel. Darauf durfte sie keinen weiteren Gedanken verschwenden. Sie musste jetzt die Leitstute spielen und ihnen Mut machen. Wenn sie ihnen Vertrauen einflößen konnte, dann würden sie ihr überallhin folgen.
    Kathryn nahm die Zügel wieder fest in die Hand. Mit lang gezogenen Vokalen sprach sie beruhigend auf die Tiere ein. »Wird alles gut, ruhig, ganz ruhig, ja, brav …« Auch sie selbst fühlte sich gleich ein wenig sicherer.
    Kathryn drehte den Pferden langsam den Rücken zu. Sie setzte einen Fuß vor den anderen, dabei sprach sie den Tieren weiter gut zu. Sie spürte einen kleinen Ruck, weil ihre Stute zögerte, doch dann entspannten sich die Zügel. Joshi ging vorsichtig hinter ihr her. Das zweite Pferd folgte. So erreichten sie mit den letzten Sonnenstrahlen das andere Ufer.
    Jetzt war Kalimpong nicht mehr weit. Ein zivilisierter Ort, der letzte vor der Grenze zu Sikkim. Kathryn war schon zwei- oder dreimal dort gewesen. Allerdings mit ihrem Vater und Tinley als Chauffeur. Es ging nun wieder steil bergauf. Wer es sich leisten konnte, fuhr mit dem Auto den Berg hoch.
    Der Erholungsort hatte abwechselnd zu Sikkim und Bhutan gehört, bevor auch er eine Bergstation der Ostindischen Handelgesellschaft und 1865 Teil Britisch-Indiens geworden war. Kinder von Engländern im Bezirk Darjeeling, die nicht auf ein europäisches Internat geschickt werden konnten, besuchten in Kalimpong eine von schottischen Missionaren gegründete Highschool. Außerdem gab es hier einige Wohlfahrtseinrichtungen, die Menschen anzogen. Vor allem aber machten Händler und Pilger in Kalimpong Station, denn der Jelep La, ein Seitenweg der legendären Seidenstraße, war von hier aus gut zu erreichen. Eine einzige, überwiegend brauchbare sandige Straße existierte für den Transit vom tibetischen Lhasa durch Sikkim hindurch bis nach Indien.
    Kathryn war froh, dass ihr auf dem Weg der zunehmende Mond leuchtete. Von Geestra Valley kannte sie die Geräusche des nächtlichen Urwalds. Doch musste sie sich eingestehen, dass es einen Unterschied machte, ob man ein unvermutetes Fauchen, Knacken oder den lang gezogenen Ruf eines Raubvogels bei offenem Fenster im eigenen Bett hörte oder allein unterwegs in der Fremde. Sie überholte einige Pilger und erreichte Kalimpong kurz vor Mitternacht.
    Die Wirtin einer Pension, bei der sie anklopfte, stellte keine langen Fragen, nachdem Kathryn für sich und das Unterstellen ihrer Pferde eine ziemlich unverschämte Forderung akzeptiert hatte. Am nächsten Morgen frischte sie im Ort ihren Proviant auf. In einem Geschäft mit hübschen Stoffen aus Bhutan kaufte sie ein großes, unscheinbares Pilgergewand. Damit würde sie weniger Aufmerksamkeit erregen. Noch zog sie es nicht an, sondern verstaute es aufgerollt in ihrer Satteltasche. Dann machte sie sich auf den Weg zur Grenze.
    Kathryn ließ sich Zeit. Sie wollte auf keinen Fall zu früh auf die Expedition stoßen. Das Risiko, dass sie zurückgeschickt würde, sank mit der Entfernung, die sie schon zurückgelegt hatte. Frühestens im ersten Gästehaus der sikkimesischen Regierung durfte sie auf die Deutschen treffen. Kathryn hatte Carl und Gustav stets sehr interessiert zugehört, wenn sie ihre Pläne besprachen. Sie wusste deshalb, dass die Männer bis zur Hauptstadt Gangtok in Gästehäusern Rast machen wollten. Die lagen jeweils etwa zwanzig Kilometer, einen Tagesmarsch, voneinander entfernt.
    Guten Mutes ritt sie in den Tag, verscheuchte die Gedanken an ihren Vater und sein Fehlverhalten. Orangenbäume verströmten ihren Blütenduft, weiße Wolken warfen wandernde Schatten auf die grüne Berglandschaft. Die Flüsse in den Tälern hauchten Nebelschwaden empor.
    Kathryn freute sich an dem erhebenden Blick auf den dampfenden Fluss Rangit, der um helle Sandbänke mäandernd an der Landesgrenze in den Teesta mündete. Er galt als Lebensader Sikkims. Durch sein tiefes Tal verlief sogar ein Weg in Richtung Gangtok. Doch kein vernünftiger Mensch wählte ihn, wegen der unerträglichen feuchten Hitze, der schwer

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