Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten
Geheiß so sagen müssen und das ganze Dorf weiß es von Anbeginn nicht anders. Womit willst’s beweisen, daß es nicht so ist?«
»Ich hab’s vom Vater ererbt, das weiß Jedermann, und aus meinem Mund hat noch nie ein Mensch vernommen, daß ich Dir’s zum Geschenk gegeben hab’.«
»Ich werd’s beschwören! Und außerdem hab’ ich die Unterschrift, daß Du der Mörder bist. Versuch’s doch, mich zu vertreiben!«
»Das werd’ ich nicht nur versuchen, sondern gewiß und wirklich thun! Hörst, wie die große Glock’ neunmal anschlägt? Das ist das Zeichen vom heiligen Vaterunser. Jetzt wird der Balzer in die Erd’ gesenkt; und der Pfarrer betet über seiner Leich’. Ich weiß nicht, was Du in seiner letzten Stund’ mit ihm vorgenommen hast, aber sein Verführer und Mörder bist gewesen, und er wird Dich in der Ewigkeit verklagen. Ich hingegen hab’s nicht nöthig, bis auch dahin zu warten, sondern werd’ schon gleich jetzt das Gericht mit Dir beginnen. Deine Verschreibung hast mir zerrissen; gieb nun auch die meinige heraus!«
»Geh’ fort, und laß Dich nicht länger auslachen!«
»Gieb sie heraus!«
»Du bekommst sie nicht!«
»So nehm’ ich sie mir selber!«
»Weißt so genau, wo sie liegt?« lachte er.
»Sehr genau!«
»So hat Dir’s wohl davon geträumt? Oder bist vielleicht gar hinauf zum Herrgottle gegangen und hast gefragt?«
»Schubertfrieder, Dein Hohn trifft grad’ die richtige Stell’! Ja, vom Herrgottle hab’ ich’s erfahren, und dem hat’s der Ludewig in seinem Brief erzählt. Er hat gesehen, wo der Wechsel lag, und dort wird wohl auch das Andere zu finden sein. Die Schlechtigkeit ist sich nur immer selbst zum Schaden. Paß auf, wohin ich greifen werd’!«
Er trat an die Wand und streckte die Hand nach dem Schränkchen aus. Im Augenblicke stand der Richter an seiner Seite.
»Wag’s, Spitzbub’, Dich an meinem Eigenthum zu vergreifen!«
»Ich darf’s thun, denn Du hast mir das meinige vernichtet!«
»Nimm die Hand vom Kasten fort, sonst schlag’ ich Dich nieder und laß Dich nachher einschließen. Was Du versuchst, ist nicht nur Diebstahl, sondern gar der gewaltsame Raub!«
»Die Schrift ist nicht mehr Dein Eigenthum, sondern das meinige; drum nehm’ ich sie. Geh’ fort, sonst bekommst den Herrgottsengelhieb zum zweiten Mal!«
»Meinst, daß Du ihn zusammenbringst?« fragte er, nach ihm fassend.
»Merk’s selbst!« lautete die Antwort, und mit ihr zugleich fiel die Faust des Sprechers auf den Kopf Schubert’s nieder.
Der Getroffene sank lautlos zur Erde. Vermochte der Klapperbein noch jetzt eine solche Hand zu führen, so mußte er in seinen besseren Jahren ein wahrer Riese gewesen sein. Unbekümmert um den am Boden Liegenden zog er den Schrank aus der Wand und untersuchte die Vertiefung. Sie enthielt jetzt nur drei ineinander gesteckte Papiere. Das erste war der Wechsel; er legte ihn an den Ort zurück. Das zweite war das Gesuchte; es enthielt das Bekenntniß, daß er Bertha Schubert, die Todtengräberstochter, in den Schacht gestürzt habe; er steckte es zu sich. Nun warf er einen Blick auf das dritte; es war dasjenige, welches der Schmuggelbalzer dem Richter zurückgegeben hatte. Kaum hatte sein Auge die ersten Zeilen entziffert, so trat er mit einem Ausrufe des höchsten Erstaunens zu dem am Fenster stehenden Tische, wo er die vergilbten Schriftzüge besser zu erkennen vermochte.
»Herr mein Heiland, was ist das? Steht das wirklich hier geschrieben, oder ist’s nur ein Traum, den ich hab’?«
Mit sichtlicher Gier verschlang er förmlich ein Wort nach dem andern; seine Augen öffneten sich weit und weiter; seine hohlen, bleichgrauen Wangen färbten sich roth und immer röther; sein Athem ging fliegend; seine buchstabirenden Lippen bebten; sein Angesicht strahlte hell und heller, als enthalte jede einzelne Silbe ein Himmelreich für ihn, und als er das Ende erreicht hatte, preßte er das alte, vielbeschmutzte Papier mit sprachloser Inbrunst an die Brust; seine lallende Zunge suchte vergebens nach einem verständlichen Laute, und es ging eine Aufregung durch seinen über den Tisch sinkenden Körper, die sich endlich in einem erschütternden, convulsivischen Weinen Luft machte.
So lag er lange, lange Zeit. Da regte es sich leise hinter ihm; er bemerkte es nicht. Der Schlag war doch nicht so kräftig gewesen wie derjenige des Herrgottsengels droben auf der Halde: der Richter kam wieder zu sich. Er öffnete die Augen, blickte verwundert und nachsinnend
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