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Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Titel: Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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und erreichte auch wirklich unbemerkt den zum Lindenhofe gehörigen Garten. Jenseits des Zaunes stand ein kleines Häuschen; die Eltern des Reiterkurt hatten es vor ungefähr Jahresfrist gekauft, ohne daß man so recht gewußt hätte, woher ihnen das Geld gekommen war. Sie befanden sich heute mit auf dem Fährmannshofe, und darum war kein Licht zu bemerken, obgleich die nach hinten gehenden kleinen Fenster keine Läden hatten.
    Der Flüchtling mußte diesseits des Zaunes an ihm vorüber. Er legte sich zur Erde und kroch langsam vorwärts. Da vernahm er von der Straße her eilige, aber leise Schritte; ein Schlüssel wurde in die Hausthür gesteckt, und nach kaum einer Minute war die enge Wohnstube von einer Lampe nothdürftig erhellt, so daß man sie vom Garten aus genügend überblicken konnte.
    Der Reiterkurt war eingetreten. Er hatte, um sich unkenntlich zu machen, die Uniform mit Civilkleidern vertauscht und schien große Eile zu haben. Ohne das unverhüllte Fenster zu beachten, trat er zu der alten Wanduhr, hob eines ihrer riesigen Gewichte aus und kehrte mit demselben zum Tische zurück. Es bestand aus einem hohlen Blechcylinder und war mit Blei-und Eisenstücken angefüllt. Er schüttete es vor der Lampe aus; ein kleines Päckchen, welches sich ganz unten befunden hatte, kam zum Vorscheine; er wand den Faden ab und wickelte es auf.
    Der Zaun war von dem Häuschen kaum vier Fuß entfernt; der Zwischenraum wurde nur zur Anhäufung des für den Winter eingesammelten Brennholzes benutzt. Fährmann mußte wissen, welche Heimlichkeit den Bräutigam seiner ehemaligen Frau so allein und eilig aus dem Hochzeitshause fortgetrieben hatte, und stand schon im Begriffe, sich über den Zaun hinüber zu beugen, obgleich er sich dadurch dem verrätherischen Lichtscheine preisgeben mußte, als er überrascht wieder zurückwich. Er hatte gesehen, daß sich hinter dem Reiterkurt die Thür bewegte. Sie wurde langsam aufgezogen, und in der Oeffnung erschien eine glänzende Uniform.
    Der Obergendarm war’s. Vom Lindenhofe zurückkehrend, hatte er einige Minuten recognoscirend in der Nähe gestanden und den Mann bemerkt, der so behend und vorsichtig hinter dem Dorfe heraufgekommen war. Verdacht schöpfend, folgte er ihm, trat in das jetzt offene Haus und stand nun hart hinter ihm, mit neugierigem Blicke jeder seiner Bewegungen folgend.
    Das Packet war geöffnet; es enthielt eine Anzahl Cassenscheine und einen Schlüssel mit alterthümlich geformtem Handtheile. Bei diesem Anblicke traten die Gedanken von vorhin wieder vor die Seele des Beamten, und mit einem raschen Griffe hielt er die Gegenstände in seiner Hand.
    »Der Herr Bräutigam hat es ja mit recht sonderbaren Uhrgewichten zu thun! Wie kommen Sie in diese Kleidung und hierher, da ich doch befohlen habe, daß Niemand Ihren Hof verlassen soll?«
    Fährmann hörte diese Worte und hatte ebenso deutlich den Schlüssel erkannt. Seine gefahrvolle Lage war vergessen; er schwang sich über den Zaun, eilte um die Ecke des Hauses und trat ein. Er kam gerade zur rechten Zeit. Der Husar hatte sich auf den Gendarm geworfen und diesen, dem der Degen im Wege war und dessen Sporen sich in der alten Stubendecke verwickelten, zur Erde gerissen. Er kniete auf ihm, hielt ihn mit der Linken bei der Kehle gefaßt und langte mit der Rechten nach dem nahestehenden Ofen, an welchem ein Beil lehnte. Das war so schnell gegangen, daß keiner von Beiden einen Laut von sich gegeben hatte.
    Auch der Flüchtling sprach kein Wort; er hätte in diesem Augenblicke die Stärke eines Simson entwickeln können, faßte den Verführer seines Weibes beim Nacken, riß ihn hintenüber und hielt ihn fest, bis der Beamte sich erhoben hatte. Als dieser die Anstaltskleidung erkannte, schien er einen Moment lang vollständig verblüfft, begriff die Scene dann aber desto schneller, zog eine Schnur aus der Tasche und fesselte mit Hilfe seines Retters den übermannten Gegner. Dann schob er rasch den Riegel vor die Thür und fragte:
    »Sie sind Nummer Hundertneunzig, oder vielmehr der Oekonom Fährmann von hier?«
    »Ja.«
    »Sie sind mein Gefangener!«
    »Ich hab’ nichts mehr dagegen, weil ich bald ganz frei sein werd’; denn jetzt kann ich beweisen, daß ich unschuldig verurtheilt bin!«
    »Wieso?«
    »Das ist mein Geldschrankschlüssel, der hier in der Stub’ liegt; ich dacht’, ich hätt’ ihn verloren, aber nun seh’ ich, daß der Reiterkurt ihn mir gestohlen hat und das Papiergeld dazu. Darf ich die Nummern

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