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Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Titel: Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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seh’n?«
    Der Beamte nahm die ihm während des Kampfes entfallenen Cassenscheine von der Diele auf, warf einen eigenthümlich forschenden Blick auf ihn und las dann die Nummern vor.
    »Sie sind’s! Sie folgen nach der Reihe und sind mir bei der Verhandlung vorgelesen worden. Nun weiß ich Alles, wie’s gegangen ist! Der Kurt ist in meinen Schrank gegangen, hat im Buch meine Ziffern umgewandelt und die Summ’, die ich ihm geliehen hab’, in dem gestohlenen Geld vorgezeigt. So hat er mich aufs Zuchthaus und von der Frau gebracht und wär’ beinah’ noch der reichste Bauer im Dorf geworden! Sag’s, Spitzbub’, ist es so? Hier kann kein Leugnen retten!«
    Der Gefragte antwortete nicht; er war von dem plötzlichen Wechsel seines Schicksales vollständig betäubt. Der Gendarm öffnete das Fenster und stieß einen lauten schrillen Pfiff aus, dann fragte er:
    »Sie sind entsprungen, um Ihr Kind zu sehen?«
    »Nur allein deswegen!«
    »Ich habe nicht über Sie zu entscheiden und muß Sie nach dem Kleide behandeln, welches Sie tragen. Aber Sie haben mir einen großen Dienst geleistet, den ich Ihnen nicht vergessen werde. Ich bringe Sie nach der Anstalt zurück, gebe Ihnen aber die Erlaubniß, bei Ihrem Knaben sein zu können, bis ich hier meine Pflicht gethan habe. – Ja, meine Herren,« wendete er sich zu den eintretenden Untergebenen, »zwei Fliegen mit einem Schlage. Die eine halten wir fest, die andere aber werden wir in Kurzem vielleicht wieder freigeben müssen!«
    Nachdem er ihnen eine flüsternde Erklärung gegeben hatte, wendete er sich wieder zu Fährmann.
    »Gehen Sie jetzt mit diesem Herrn! Ich bin überzeugt daß wir Sie nicht zu fesseln brauchen. Sie können mit den Bewohnern des Lindenhofes ungenirt verkehren, doch wird Ihr Begleiter nicht von Ihrer Seite weichen!«
    Als die Beiden bei der Lindenbäuerin eintraten, erschrak sie auf das Heftigste; doch gab ihr das Verhalten Fährmann’s bald die volle Ruhe wieder.
    »Minna, hör’, der Reiterkurt ist’s gewesen, der mein Geld gestohlen hat! Ich hab’ ihn jetzt mit gefangen genommen und werd’ in kurzer Zeit frei sein! Grüß Gott, Mutter!«
    Er drückte sie Beide an sein froh bewegtes Herz und eilte dann zu seinem Knaben. Dieser saß wach im Bette und hatte seine große Flinte vor sich liegen.
    »Vater,« rief er jubelnd, als er ihn erblickte, und streckte ihm die beiden Aermchen entgegen, »Vater, mein lieber Vater, bist wieder da?«
    »Ja, da bin ich und geh’ nur einmal noch ein ganz klein wenig fort!«
    »Hast’s wohl gehört, daß ich Dich gerufen hab’?«
    »Freilich hab’ ich’s vernommen! Thut Dir Dein Kopf sehr weh’?«
    »Nein, jetzt nicht mehr. Die Minna hat mir Salb’ aufgelegt. Sie ist so gut, viel besser als die Mutter. Sie soll meine Mutter sein; sie hat mich schon gefragt, ob ich sie will!«
    Die glücklichen Leute hatten vollständig Zeit, sich auszusprechen; denn es vergingen mehrere Stunden, ehe der Obergendarm erschien. Er betrachtete die Gruppe mit teilnehmendem Blicke.
    »Fährmann,« meinte er, »jetzt bin ich überzeugt, daß Sie unschuldig sind. Der Husar hat Alles eingestanden. Er hat Sie auf das Zuchthaus bringen wollen, damit Ihre Frau einen Scheidegrund habe. Er hat ohne Ihr Wissen auf dem Hofe Zutritt gehabt, den Schlüssel weggenommen, später die achthundert Thaler gestohlen und während Ihrer Abwesenheit im Buche aus einer Fünf eine Drei, und aus einer Sieben eine Eins gemacht, so daß die Acht herausgekommen ist. Ich war mit ihm im Fährmannshofe und auch beim jetzigen Cassirer. Das Buch ist noch vorhanden; er hat die Radirung als sein Werk anerkannt und befindet sich schon nach dem Gefängnisse unterwegs. Auch Sie werden jetzt aufbrechen; doch will ich dafür sorgen, daß es nicht auf lange ist!« –
    Die Anstaltsglocke gab das Zeichen, daß die Gefangenen sich zu erheben hatten, als in früher Morgenstunde der Flüchtling wieder eingeliefert wurde. Und wer heute nach Oberdorf kommt und den reichen Lindenbauer fragt, der kann erfahren, daß er schon am Abende wieder daheim gewesen ist bei seinem Knaben, dem er die Freiheit zu verdanken hat.

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