Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten
mißgünstigen Blicken musternd, auf dem Perron auf und ab, während einige biedere Gebirgsbewohner, welche zur Begrüßung irgend eines Angehörigen zugegen waren, sich in halb scheuer Bescheidenheit unter den Eingang zurückgezogen hatten. Der einfache Sohn der Berge kann sich nur schwer an jenes sichere, zuweilen auch anspruchsvolle Auftreten gewöhnen, welches man selbst am kleinsten Halteorte zu bemerken pflegt.
Ihre Aufmerksamkeit war getheilt zwischen dem Treiben auf dem Perron und einem leichten Wagen, welcher vor dem Bahnhofe hielt. Ein derber, bausbäckiger Knecht stand vorn bei den muthigen Braunen, denen das geduldige Harren schwer zu werden schien, und am offenen Schlage lehnte eine Gestalt, welche die Aufmerksamkeit eines Vorübergehenden auf sich ziehen mußte. Sie war von wahrhaft riesigen Proportionen, die eine außergewöhnliche Körperstärke bekundeten. Der Mann ragte, wie einst Saul, um eines Kopfes Länge über alles Volk empor; seine breiten Schultern, nur von einer kurzen Tuchjacke bekleidet, der starke Nacken, welcher unverhüllt aus dem zurückgeschlagenen Hemdenkragen hervorsah, die hochgewölbte Brust, die gewaltigen Arme, welche die ganze Aermelweite ausfüllten, die kräftigen Schenkel, von einer engen Lederhose umschlossen, die sich in die weit heraufgezogenen Aufschlagestiefel verlor, sie bildeten eine beredte Warnung, mit dem Besitzer dieser Vorzüge nicht in eine feindselige Körperberührung zu kommen. Doch wurde diese Warnung bedeutend abgeschwächt durch einen Umstand, welcher zu der Furcht das Mitleid gesellen mußte: Der Mann war blind. Zwei große, glanzlose Augen blickten starr unter den buschigen Brauen hervor; die ursprünglich weiße Hornhaut zeigte eine dunkle, körnige Färbung, und auch über die übrigen Gesichtstheile zog sich ein tüpfeliges Blauschwarz, welches ihm ein beinahe schreckliches Aussehen verlieh.
Einer der Bahnbeamten war unter den Eingang getreten.
»Wer ist der Herkules dort?« frug er die Dastehenden.
»Kennt Ihr ihn net?« lautete die Antwort. »Aber gehört habt ihr von ihm! Es ist der Goliath aus Finsterwalde.«
»Der Goliath?«
»Ja, der Bachbauer, den sie den Goliath heiß’n, weil ihn kaan Mensch zu überwind’n vermag. Der Waldkönig hat ihm das Aug’nlicht hinweggeschoss’n.«
Der Frager warf einen theilnehmenden Blick auf den Riesen und eilte dann davon. Das schrille Heulen der herbeieilenden Lokomotive belehrte ihn, daß der erwartete Zug nahe.
Als derselbe zum Halten gebracht war, fand jeder der Harrenden seinen Gegenstand. Der Bachbauer blieb am Wagen gelehnt, aber trotz der Verunstaltung seiner Züge konnte man in ihnen die Ungeduld erkennen, mit welcher er auf die ihn umwogende Geschäftigkeit horchte.
»Kommt er noch net, Baldrian?« frug er den Knecht.
»Hab noch Nix von ihm gesehn. Ich kenn’ ihn doch auch gar net!«
»Wirst ihn schon gleich kennen: Krauskopf, rothe Backen, Sammetrock und lackirte Stulp’nstiefel, ein roth und weiß’ Verbindungsband mit goldner Klunker auf der West’ und die grüne Student’nmütz hoch droben im Pfiff.«
»Ja, dort steht nun einer, der ist so lang und breit wie Ihr. Krauskopf und Stulp’nstiefel, das ist richtig, aber Rock, Mütz’, Band und Klunker, das will net pass’n. Jetzt kommt er grad auf uns herbei!«
Der junge Mann, welchen Baldrian meinte, war aus einem Coupé zweiter Klasse gestiegen und hatte sich suchend auf dem Perron umgesehen. Als er dort kein bekanntes Gesicht erblickte, schritt er dem Ausgange zu und gewahrte das Geschirr, bei welchem die Beiden standen. Einen Moment lang verschärfte sich sein Blick, dann flog es wie ein heftiger Schreck über sein hübsches, jetzt tief erbleichendes Gesicht. In der nächsten Sekunde stand er vor dem Goliath.
»Vater!«
»Frieder!«
Sie lagen sich in den Armen. Aus der Innigkeit der Umarmung konnte man auf die herzliche Liebe schließen, welche die Beiden verband.
»Endlich, endlich bist Du wieder da, Frieder!« seufzte der Bauer auf. »Ich lass’ Dich nun auch gar nimmer wieder fort. Net wahr, Du bleibst, Du böser Wandervog’l?«
»Ja, Vater! Und wenn ich Dich und die Mutter auch nicht gar so lieb hätte, ich müßte doch die Stelle des Bruders ausfüllen, der – – –«
»Laß’ gut sein jetzt, Frieder; das ist Zeit bis nachher später!« Das Gesicht des Sprechers legte sich in düstre Falten. »Net wahr, ‘hast nie gedacht, mich so zu find’n wie heut?«
»Nie! Ich kann Dir gar nicht sagen, wie es mir das
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