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Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Titel: Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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für ihn leicht sei, sie zu errathen oder zu erfahren, sobald er diesem Verlangen nicht Folge leiste und zugleich sich jetzt der verwunderlichen Freiheitsberaubung entziehe. Er überlegte daher, auf welche Art und Weise er aus der Stube gelangen könne. Er wollte es eben so heimlich thun, wie man ihn eingeschlossen hatte.
    Aus diesem Grunde sah er von dem Hinausstoßen der Thür ab, welches ihm trotz der Stützen wohl gelungen wäre, da sie alt und morsch genug war, um von einem kräftigen Fußtritte zertrümmert zu werden. Das Fenster war so klein, daß ein Mann von der Statur Ferdinand’s unmöglich durch dasselbe steigen konnte. Die Decke – ja, sie bot am besten und sichersten den Weg, welchen er suchte. Sie war nur geschalt und bildete zugleich den Fußboden des über dem Stübchen befindlichen Theiles des Dachraumes. Er stieg auf den Tisch, stemmte sich gegen die einfach auf die Balken genagelten Breter; sie gaben nach, – ein kurzes Knirschen und Prasseln, und die Oeffnung, welche er brauchte, war vorhanden. Er schwang sich durch dieselbe hinauf und brachte die losgesprengten Theile leicht wieder in ihre vorige Lage. Wer jetzt in die Stube trat, mußte sich wohl verwundert fragen, wie der Gefangene verschwunden sei. Dieser stieg durch den geöffneten Schieber auf das niedrige Schindeldach, dessen untere Kante, da das Haus mit seiner hinteren Seite in den Teichdamm hinein gebaut war, sich nur wenige Fuß hoch über den Letzteren hinzog. Ein leichter Sprung, und er stand zwischen den Sträuchern, welche den Damm bedeckten. Ueberrascht blieb er auf der Stelle halten; es hatte geklungen, als springe er auf die Decke eines hohlen Raumes, und ein kräftiges Stampfen mit dem Fuße überzeugte ihn, daß er sich nicht geirrt habe.
    Es war grad’ noch hell genug, um den Boden untersuchen zu können. Er bestand aus kurzgeschorenem Rasen und zeigte dem tief gesenkten, aufmerksamen Auge ein sonst kaum bemerkbares, wie mit dem Messer eingeschnittenes Viereck, aus dessen Mitte einige verdorrte Wurzeln hervorstanden. Ferdinand erfaßte diese Letzteren und zog an ihnen erstaunt ein hölzernes Quadrat empor, welches mit grastragender Erde bedeckt war. An der Stelle, auf welcher es so sorgfältig in den Boden eingefügt gewesen war, zeigte sich eine Oeffnung, groß genug, einen Mann hindurch zu lassen, und bei näherer Untersuchung fühlte er die oberen Sprossen einer Leiter, welche senkrecht in die Tiefe führte.
    Was hatte diese geheimnißvolle Einrichtung, deren Dasein ihm gänzlich unbekannt war, zu bedeuten? Er beschloß, unverzüglich nachzuforschen.
    Er stieg zunächst so weit hinab, daß er über sich den Deckel bequem wieder in seine vorige Lage zu bringen vermochte, und folgte dann der Leiter, bis er festen Boden unter sich fühlte. Er befand sich in einer engen, niedrigen Zelle und tastete an einen Tisch, auf welchem Lampe und Zunderflasche standen. Als die Erstere brannte, bemerkte er, daß der Raum vier Seiten hatte, von denen drei nur leicht verschalt waren, während die vierte aus einer Breterwand gebildet wurde, in welcher ganz unten am Boden eine niedrige, aber breite Thür angebracht war, deren Angeln einfach aus aufgenagelten Lederstücken bestanden. Sie konnte nur in kriechender Stellung passirt werden.
    Nachdem er sich durch längeres Horchen überzeugt hatte, daß jenseits derselben sich Niemand befinde, zog er sie auf. Vor ihm stand das Himmelbett, in welchem sein Vater zu schlafen pflegte, ehe er von der Krankheit auch für die Nacht in den Stuhl gebannt wurde. Er schob sie wieder zurück und athmete tief und seufzend auf. Dieser verborgene Raum war früher nicht dagewesen, das wußte er ganz bestimmt. Niemand anders konnte ihn angebracht haben, als der Vater; aber zu welchem Zwecke? Und wie war es dem gelähmten Manne möglich geworden, diese beschwerliche Arbeit, bei welcher er sicherlich jeden Zeugen vermieden und jede Spur zu verwischen gehabt hatte, auszuführen? Es wurde ihm plötzlich bang’ zu Muthe, so bang’, als ob ihn das Ungeheuer wieder bedrohe, welches er im Traume gesehen hatte.
    Er trat zum Tische; der Kasten desselben war verschlossen. Sich niederbeugend, versuchte er, die Finger zwischen dem Rande desselben und der Tischplatte hindurch zu bringen. Es gelang; er fühlte eine Anzahl aufeinander liegender Hefte und mehrere kleine Päckchen, welche sorgfältig in Papier eingeschlagen und dann versiegelt waren. Mit einiger Mühe gelang es ihm, Alles aus der engen Spalte hervorzuziehen.

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