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Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Titel: Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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aan Geschöpfle mehr werth als kalte, herzlose Münz.«
    »Was willst’ denn?«
    »Aan Kuß ist’s, für den ich Dir ihn geb.«
    Eine glühende Röthe ergoß sich über ihr Gesicht.
    »Silberheiner, das war net gut von Dir, das hätt’st net thun soll’n?«
    »Warum net?«
    »Weil – weil Du Dir selbst weh’ thust hier in meinem Herz’n.«
    Er verstand ihre Worte nicht; er hielt ihre Hand gefaßt und strich ihr mit der Rechten leise und unbewußt liebkosend über die elastische Fülle des reichen Haares.
    »Sag schnell, Alma, willst’ ihn oder net? Ich frag net wieder?«
    Sie zögerte mit der Antwort; dann hob sie den feucht schimmernden Blick zu ihm empor und entschied:
    »Es hat mich noch nie aan Mann geküßt, Heiner, auch der Vater net, denn der ist gestorb’n, noch eh’ ich auf der Welt gewes’n bin, und ich möcht lieber auch sterb’n, als daß ich solch aan – aan – leid’n möcht; Du aber sollst den Kuß hab’n, Du allein. Hier, nimm ihn!«
    Mit tief gesenkten Wimpern reichte sie ihm die leise zuckenden Lippen dar.
    »Alma!«
    »Was ist’s? Warum zauderst’ jetzt?«
    Er sah ihr mit einem unbeschreiblichen Blicke in das fragende Auge.
    »Hier hast’ das Thierle umsonst; icb hab zuviel dafür verlangt!«
    »Ist’s Dein Ernst?«
    »Mein völliger!«
    »So bitt, komm ‘mal herab zu mir!«
    Sie langte an ihm empor, zog seinen Kopf zu sich hernieder und küßte ihn zwei, drei Mal auf den Mund.
    »Nun sollst’ ihn grad erst recht hab’n, und noch mehr obendrein, weil Du wieder brav bist! Und waaßt, Silberheiner, ich zahl damit noch lange net die Schuld, die Du zu fordern hast. – Jetzt ist der Vogel mein, und nun soll er auch die Freiheit wieder hab’n. Da schau, wie lustig er die Schwingen schlägt? Nun flieg ich auch davon. Leb’ wohl, Heiner, und vergiß die Alma net!«
    Sie warf das leichte Tuch um die Schultern; es wehte beim Gehen wie Flügelschlag um ihre über die Lichtung dahineilende Gestalt, und noch lange, nachdem sie verschwunden war, stand er unbeweglich und blickte wie verzückt auf die knospenden Zweige, welche sich hinter ihr geschlossen hatten. –
    Der Frühling war vergangen, und auch der Sommer rüstete zum Abschiede, denn bereits nahte der Herbst mit seinem eigenthümlichen Geruche, seiner früchtelösenden Reife und dem wehmüthigen Flüstern und Rascheln seiner fallenden Blätter. Auf den Wiesen sammelten sich die Schaaren der wanderlustigen Vögel, und in Busch und Wald erklang hier und da das klagende Ade eines einsam scheidenden Sängers, der zwischen den Strophen seines letzten Liedes probirend die kleinen, befiederten Schwingen schlug.
    An Stelle der Forteilenden zogen andere Sänger in das Dorf.
     
    »Im Lenz, da ziehn wir froh hinaus
    Mit lautem Sing und Sang,
    Ade, ade, lieb’s Vaterhaus,
    Sei nimmer um uns bang!
    Denn ist des Sommers Zeit dahin,
    So kehr’n wir all’ zurück
    Und grüßen mit vergnügtem Sinn
    Der Heimath stilles Glück!«
     
    erscholl es in vollem, kräftigem Chore vom Berge herab. Eine Schaar von Burschen und Mädchen, an ihrer Spitze der Silberheiner, nahte dem Dorfe. Die sorgfältig eingehüllten Instrumente, welche die Meisten von ihnen trugen, ließen erkennen, daß sie von einem musikalischen Wanderzuge zurückkehrten.
    Da droben in den Bergen sprudelt der Quell heller und frischer, als in den Breiten des Niederlandes, und heller und frischer klingt auch das Lied aus der freier athmenden Brust. Wenn das Veilchen verstohlen zwischen dem jungen Grün der Ränder und Raine hervorlugt, verlassen Hunderte von Sängern und Sängerinnen die hochgelegene Heimath und ziehen hinaus in die Fremde, um mit dem Ertrage ihrer meist gut zusammengeübten Stimmen die Armuth der Ihrigen zu unterstützen. Die Mehrzahl von ihnen kehrt beim Herannahen der härteren Jahreszeit nach Hause zurück, Viele aber unternehmen auch weite, jahrelange Fahrten und tragen den Ruhm des deutschen Liedes über Berg und Thal, ja über den Ozean hinüber nach fremden Erdtheilen, wo der hagere Yankee, der sonnverbrannte Maure oder der schlanke Malaye den gemüthvollen Klängen lauscht, ohne ein Wort des Textes zu verstehen. Gar manche Preßnitzer oder Sonneberger Harfnerin hat das Weltmeer durchfurcht und vermag von fernen Kontinenten zu erzählen trotz eines »wohlgepflügten« Seemannes.
    An einem Fenster der Kantorwohnung stand ein Mann und lauschte dem nahenden Gesange. Sein Gesicht war furchtbar entstellt; es hatte ganz das Aussehen, als sei es mit Zangen

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