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Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Titel: Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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zerrissen und mit einem glühenden Plätteisen wieder geglättet worden. Die Nahenden hatten jetzt das Dorf erreicht und ließen die letzte Strophe des Marsches erklingen:
     
    »Im Lenz, da ziehn wir froh hinaus
    Mit lautem Sing und Sang,
    Jetzt ists nun mit dem Kos’n aus,
    Doch, Liebch’n, wein’ net lang!
    Noch ist die Haide net verblüht,
    So klingt zur Sternenzeit
    Am Fenster Dir aan traulich Lied:
    Grüß Gott, Du süße Maid!«
     
    »Der Giftheiner ist doch nicht nur der beste Sänger, sondern auch der bravste Dirigent, den ich kenne,« murmelte der Mann. »Schade nur, daß er auch der schlechteste Mensch ist, den es nur geben kann! Seiner Truppe kommt keine andre gleich in Beziehung auf Stimmenharmonie und Exaktheit des Ausdruckes. Man könnte, obgleich er mir die besten Kräfte gestohlen hat, seine helle Freude an ihm haben, wenn man nicht gezwungen wäre, nur mit Abscheu an ihn zu denken. Und nicht nur um meine Sänger, auch um mein Kind, um mein einziges Kind hat er mich gebracht. O, Alwine, warum hast Du mir das gethan! Warum hast Du mich gezwungen, Dich zu verachten und der Sünde zu überlassen, in die Du Dich besinnungslos stürztest, weil Du die Schmerzen nicht zu würdigen wußtest, welche der Arzt seinem Kranken verursachen muß, um ihm die Heilung zu ermöglichen! Nun ist der Gram meine Speise und die Thräne mein Trank; der Kummer hat meinen Lebensweg verkürzt, und ich fahre in die Grube ohne den Frieden, den ein liebendes Auge über die letzten Augenblicke eines hinüberfliehenden Daseins strahlt. Mein Gott, mein Gott, warum muß ich das erleiden!«
    Er senkte das ergraute Haupt tief und schwer hernieder und schlug die abgemagerten Hände faltend in einander. Seine blöden Augen sahen nicht die jetzt vorüberschreitenden Sänger; er hörte nichts von dem Jubel, welcher sich draußen über ihre Ankunft erhob; er bemerkte auch nicht, daß nach vergeblichem Klopfen Jemand eingetreten war und zwei warme, theilnahmsvolle Augen auf ihm ruhen ließ.
    »Aber nein, ich will mich nicht mehr grämen!« rief er, sich aufraffend. »Habe ich die Verschimpfirung meines Angesichts zu ertragen vermocht, so soll mich auch der Schimpf, welchen meine Ehre erlitten hat, nicht überwältigen. Ich habe die ungerathene Tochter aus dem Hause gewiesen, als sie wiederkam und unter Lügen um Gnade winselte; ich habe ihre Briefe verbrannt und vernichtet, ohne sie zu öffnen; ich werde auch noch den Gedanken an sie aus meinem Herzen reißen, und wenn sie mich nochmals aufsuchte, ich würde sie nicht sehen und nicht kennen. Sie hat den Vater verstoßen, hat ihn nicht mehr gemocht, und so will ich auch mit keinem Laute und keinem Hauche mehr ihr Vater sein!«
    Die Eingetretene zog sich zurück und klopfte jetzt von Neuem. Er vernahm das Geräusch und wandte sich nach der Thür.
    »Ist wer da?«
    »Ja. Darf ich Sie stören, Herr Kantor?« frug es mit leiser, belegter Stimme.
    »Treten sie näher; ich vermag nicht weit zu sehen. Wer sind Sie?«
    »Ich bin die Tochter der Teichbäuerin und komme, um Ihnen eine Bitte vorzutragen.«
    »So sprechen Sie!«
    »Ich habe mich in der Heimath viel und gern mit dem Klaviere beschäftigt. Mutter wünscht, daß ich meine Uebungen hier fortsetze und dabei Ihre Unterstützung finden möge. Sie würde selbst zu Ihnen gekommen sein, aber sie ist krank und darf das Zimmer nicht verlassen.«
    Sie sprach langsam und verzagt. Er neigte sich ihr zu, als töne ihm ein bekannter Klang entgegen.
    »Auch ich bin krank, mein Kind, und ertheile schon seit längerer Zeit keinen Unterricht mehr. Ich fühle mich nicht mehr stark genug zu der Anstrengung, welche dabei unvermeidlich ist.«
    »Ich möchte Ihnen versichern, daß ich mich bemühen würde, diesen Umstand so viel wie möglich zu berücksichtigen. Ich glaube die Schwierigkeiten, mit denen die Anfängerin zu kämpfen hat, überwunden zu haben.«
    Sein Ohr näherte sich ihr mehr. Welche Stimme war es doch, an der er ganz die nämliche Klangfarbe bemerkt hatte, und wie kam die Tochter einer Bäuerin zu so gewählten Ausdrücken. Ihre letzten Worte waren mit einer gewissen Zuversicht gesprochen; er konnte die Bittstellerin nicht so kurz und schroff abweisen, wie es erst vielleicht in seiner Absicht gelegen hatte.
    »Dort steht das Klavier. Oeffnen Sie es und tragen Sie mir Etwas aus dem Gedächtniß vor!«
    Sie trat zum Instrumente. Schon bei den ersten probirenden Akkorden fuhr sein gesenkter Kopf in die Höhe; nach wenigen Augenblicken stand er

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