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Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Titel: Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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die ist todt gewes’n seit – seit damals, und wenn sie wieder lebendig wird, so kann ich net davon bleib’n, sondern muß mit dabei sein!«
    Der Vater machte Miene, ihn zurückzuhalten, aber vergebens; Heinrich war fort, über die Straße hinweg und nach dem Schulhause. Der Zutritt zu demselben war ihm verboten, wenigstens zu der Wohnung des emeritirten Kantors, aber dieses Verbot war ihm jetzt gleichgültig. Er hörte seine beste Dichtung spielen und von einer Stimme singen, deren Klang alle Saiten seines Innern mittönen ließ; er mußte die Sängerin sehen, das war der Gedanke, welcher seine Schritte lenkte; alles andre war für den Augenblick vergessen.
    »Es kann nur die Alwin’ sein, denn diese Stimm’ giebts nur aan einzig Mal in der Welt,« murmelte er, indem er mit leichten Schritten die Treppe emporstieg. »Vielleicht ist sie endlich aus der Fremd’ zurückgekehrt und hat Verzeihung erhalt’n von dem Vater. Auch ich hab ihr schon längst Alles vergeb’n, wenn ichs auch nimmermehr vergess’n und überwinden kann, und drum will ich sie sehn, gleich heut, gleich jetzt, wo sie mir durch den Gesang zeig’n will, daß sie da ist!«
    Er ergriff den Thürdrücker und öffnete leise. Der Kantor, welcher am Instrumente saß, vermochte in Folge seiner blöden Augen nicht, ihn zu sehen, und die Sängerin stand so von ihm abgewandt, daß er Beide unbemerkt beobachten konnte.
    »Wer ist denn das? Die Alwin’ ists net, sondern die Alma von damals auf dem Fichtler droben. Wer vermag das zu erklär’n: sie ist das leibhaft’ge Konterfei von der Alwin’, und hat auch ganz ihren Ton, nur zarter, weicher und so innig, wie er bei der andern ganz niemals net gewes’n ist! Ich geh net hinein, aber hör’n muß ich sie bis zum letzt’n Laut, den sie singt. Ich waaß, wohin ich geh!«
    Er stieg die Treppe wieder hinab und gelangte ungesehen in den Garten, welcher von einer dichten Tannenhecke umgeben war. In seinem hintersten Winkel befand sich eine lang, schmal und niedrig gehaltene Laube, ganz der Wohnung des australischen Laubenvogels nachgebildet. Seit langen, langen Jahren hatte kein Mensch eine pflegende Hand an sie gelegt; sie zeigte sich daher im höchsten Grade verwildert, und der Eingang zu ihr schien so verwachsen, daß außer Heinrich es niemand unternommen hätte, das Innere zu betreten. Dieser aber bog die widerstrebenden Zweige zur Seite und kroch hinein.
    Hier war es vollständig dunkel, trotzdem draußen die Dämmerung erst hereinzubrechen begann, doch fand sich Heinrich so schnell zurecht, als weile er täglich an diesem mitten im Dorfe und doch so einsam und verlassen gelegenen Orte. Er streckte sich auf die schmale, mit dichtem Moose überzogene Bank und lauschte den Klängen, welche aus dem geöffneten Fenster in den Garten herniederflutheten.
    Es war ihm so wundersam, so traum-, so märchenartig zu Muthe, als habe die Hand einer gütigen Fee ihn in den Schooß längst vergangener, seliger Zeiten zurückversetzt, nur daß die Gestalt, welche ihn gegenwärtig in Ton und Bild umschwebte, unendlich milder, süßer und reiner erschien, als das Wesen, welches sein ganzes Denken, Fühlen und Wollen damals ausschließlich für sich in Anspruch genommen hatte. Es war dieselbe Laube, in welcher er den Zauber ihrer Stimme eingeathmet, es waren dieselben Strophen, die er einst mit hingebendem Entzücken von ihren Lippen getrunken hatte; aber an diese Laube hatte sich das Gedächtniß einer schweren That geheftet, und diese Strophen, es ruhte der Fluch des Komponisten auf ihnen, den er einst dem Dichter in das Angesicht geschleudert hatte. Konnte diese That nie aufgeklärt, dieser Fluch nie hinweggenommen werden?
    Die Dämmerung verdichtete sich zum dunklen Abend, die Töne verklangen und das Fenster wurde zugeschlagen. Heinrich lag noch immer regungslos und mit geschlossenen Augen; er hätte unter den verhauchten Klängen hier liegen und sterben mögen. – Da richtete er sich plötzlich empor. Das Geräusch sich leise nahender Schritte hatte sein Ohr erreicht. Er zog sich unhörbar in den Hintergrund der Laube zurück. Ein Arm drängte vorsichtig tastend das den Eingang verhüllende Geäst zurück, um Platz für eine leichte, schlanke Gestalt zu machen, welche näher trat.
    »Alma,« dachte Heinrich. »Woher kennt sie die Laube, und was will sie hier, jetzt, in dieser dunkeln und furchtsamen Stunde?«
    Sie nahm vorsichtig auf der Bank Platz. Sollte er seine Anwesenheit zu erkennen geben, oder war es

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