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Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Titel: Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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nicht möglich, daß sie wieder fortging, ohne ihn bemerkt zu haben? Eine ganze, lange Zeit verging, ehe sie sich regte. Da erhob sie den Arm, um sich von der Tiefe der Höhlung zu überzeugen, und streifte mit der Hand seine Schulter. Ein kurzer Ruf des Schreckes entfuhr ihren Lippen.
    »Ist Jemand da?«
    »Ja. Ich hab nur geschwieg’n, weil ich Dich net erschreck’n wollt.«
    »Dadurch hast mich aber grad erst recht erschreckt. Sag, wer bist’ denn, und was willst hier in der Laub’?«
    »Fast möcht zuerst ich frag’n, was denn Du hier willst. Du kannst mich net erkennen und hast mich auch erst aan einzig Mal gesehn.«
    »Wo?«
    »Waaßt’s net mehr? Drob’n auf dem Fichtler, wo Du mir den Stieglitz abgefordert hast.«
    Sie schwieg einige Augenblicke, vielleicht in verschämter Erinnerung an den freiwilligen Preis, welchen sie für die Befreiung des kleinen Sängers gegeben hatte.
    »So bist wohl gar der Silberheiner?«
    »Ja.«
    »Ich denk, Du bist drauß’n im Land mit Deiner Musikgesellschaft!«
    »Wir sind vorhin zurück. Hast net den Marsch gehört, den wir gesungen hab’n?«
    »Ah, Ihr seid das gewes’n? Der Teichhof liegt so abseit vom Dorf, daß man das Neue immer nur am spätsten hört. Aber warum bist Du hier und net zu Haus’? Ich mein’, da giebts gar viel zu reden und erzähl’n, wenn man den Vater so lange net gesehen und gesproch’n hat!«
    »Du hast ganz Recht; aber ich hab Dich halt singen hör’n, und da ists net anders gewes’n, als ich muß herüber in die Laub’, damit ich kaane Not’ verlier von dem Gesang.«
    »Es war Deine Kantat’, die wir vorgehabt hab’n. Sag, wo nimmst nur all die guten Wort’ und schönen Reim’ hervor? Ich könnt so ‘was schon gar niemals fertig bring’n.«
    »Das ist kaan Verdienst, auf das man stolz sein darf, Alma, sondern aan Geschenk vom lieben Gott. Der Reim kommt ganz von sich selber, und die Sätz’ und Wörter, die sind auch gleich da, sobald das Herz voll ist. Grad hier in dieser Laub’ ist gar manch Gedicht fertig word’n, was noch niemand gesehen und geles’n hat.«
    »So bist wohl öfters hier gewes’n?«
    »Oefters? Was das Herz der Lieb’, das war sie mir, und was das Grab der Leich’, das ist sie mir geword’n. Da drauß’n hab ich zu sorgen und zu schaff’n, aber so oft ich hier sitz, bin ich todt. Waaßt’s net, was hier geschehen ist?«
    »Sag, was?« fragte sie ausweichend.
    »Bitt, laß Dir’s von den Andern erzähl’n. Wie bist denn Du herbeigekommen? Hast die Laub’ vielleicht schon vorher gekannt?«
    »Nein; ich war heut ganz zum erst’n Mal beim Kantor. Ich wollt – – ich dacht – – – ich sag Dir’s schon ein ander Mal. Gut’ Nacht, Heiner!«
    »Halt, nein! Ich will wiss’n, warum Du – – –«
    »Gut’ Nacht!« klang es nochmals, dann war sie ihm entschlüpft.
    Er lehnte sich zurück. Trotz der Dunkelheit war es ihm, als sei ein Licht-, ein Lebensstrahl in sein Grab gedrungen, unter dessen Wärme der erstarrte Puls von Neuem zu klopfen beginne. –
III.
    Es war vor einer langen Reihe von Jahren, da läuteten mitten in der Woche die Glocken, und ein Zug schwarz gekleideter Männer und Frauen, voran der Kantor mit seinen Kurrendschülern, bewegte sich langsam durch das Dorf dem Kirchhofe zu.
    Die Teichhofbäuerin wurde begraben.
    Sie war eine Wittwe, eine gute Wirthin und brave Mutter gewesen und nicht mit leichtem, fröhlichem Herzen aus der Welt geschieden. Sie ließ eine große, schwere Sorge zurück, welche noch ihre letzten Stunden mit peinigender Angst erfüllt hatte. Ihr Sohn war das einzige Wesen, welches ihr nahe stand; nur für ihn hatte sie gearbeitet und geschafft, nur für ihn gewacht und gebetet, und als sie von ihm Abschied nahm, mußte es mit Bangigkeit geschehen.
    »Tritt her, Balzer, und reich mir die Hand; es geht zu End’ mit mir!«
    Draußen stand das Gesinde leise schluchzend; sie alle bedauerten, daß die Sterbende von ihnen scheiden sollte. Er trat zu ihr hin und legte die Rechte langsam in ihre schwache, zitternde Hand.
    »Gräm’ Dich net, Mutter, wir müss’n alle sterb’n!«
    »Das waaß ich, Balzer, und möcht’ auch ganz gern fort, aber es wird mir sauer zu gehn, von weg’n Dir.«
    »Meinetweg’n laß Dich’s net bedrück’n, Mutter. Ich bin alt genug, um zu wiss’n, wie man das Leb’n zu nehmen hat.«
    »Ja, alt genug wärst’ wohl, aber wiss’n thnst’s doch noch net. Was hast’ bis jetzt gethan? Getrunk’n, getanzt, gespielt, gerauft, weiter

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