Die Rose von Windsor: Historischer Roman (German Edition)
Platten aus dem Schrank geholt, die Wandbehänge abgenommen, die kostbare Seidendecke vom Bett gezogen und die Goldplättchen auf ihrem besten Gürtel durch beinerne ersetzt. Ihre Schwiegermutter hatte in Dovercourt dasselbe getan. Überall im Herrschaftsgebiet der Bigods waren Gelder und Wertsachen eingezogen worden.
»Ich nehme nicht an, dass mein Goldwin zu meiner Aussegnung wieder zu Hause sein wird«, meinte Alditha wehmütig.
Ida zögerte, dann schüttelte sie den Kopf.
»Ich fürchte, es wird sogar noch länger dauern. Der Earl hat mir aus Antwerpen geschrieben und mir mitgeteilt, dass sie zwar eine nasse Überfahrt hatten, aber sicher angekommen sind.«
Alditha nickte wissend, obwohl für sie wie auch für Ida Antwerpen lediglich ein Name war.
Das Baby erwachte und begann zu greinen. Alditha nahm es aus dem Körbchen und legte es an die Brust. Ein bedauernder Unterton schlich sich in ihre Stimme.
»Ich wünschte nur, dass Goldwin sie jetzt sehen könnte. Männer haben kein so großes Interesse an Neugeborenen, besonders wenn es nicht ihr erstes Kind ist, aber ich hätte ihn trotzdem gerne hier gehabt.«
Ida verstand nur zu gut, wie Alditha sich fühlte. Sie und Roger waren fast zwölf Jahre verheiratet, aber sie brachte es nicht über sich, die Zeit, die sie zusammen verbracht hatten, gegen die Zeiten der Trennung aufzurechnen, weil sie wusste, wie das Ergebnis ausfallen würde. Während sie zusah, wie das Baby trank, spürte sie, wie in ihren eigenen Brüsten ein Ziehen einsetzte. Sie vermutete, dass ihr leidenschaftlicher Abschied in der Schlafkammer nicht ohne Folgen geblieben war. Ihr war seit einigen Tagen morgens übel, und ihre Brüste waren voller und empfindlicher geworden. Immerhin hat die Zeit gereicht, um neue Saat auszusäen und dann zu anderen Feldern weiterzuziehen, dachte sie.
Sie dankte Alditha für die Buttermilch, sagte, sie würde ihr einige Vliese schicken, die sie für sich abgezweigt hatte, und verabschiedete sich.
Als sie zur Burg zurückkam, arbeiteten dort die Steinmetze in der Sonne. Viele hatten ihre Hemden ausgezogen, ihre Kappen und Hüte aber aufbehalten. Ida fragte sich, ob es dort, wo Roger sich jetzt befand, auch so heiß war. Was tat er gerade? Wie ging es ihm? Sie versuchte, sein Bild heraufzubeschwören, doch alles, was sie sehen konnte, war einer seiner breitkrempigen Hüte, der sein Gesicht verdeckte. Es war nicht das Bild, nach dem sie sich sehnte, aber andere wollten sich nicht einstellen.
Als sie die Halle betrat, hörte sie aus einer Ecke Freudenschreie, und sie sah, dass sich die Kinder um jemanden geschart hatten, der auf einer Bank saß. Nachdem sie näher getreten war, erkannte sie Rogers Hafenmeister Alexander of Ipswich.
Er hatte seinen Hemdärmel aufgekrempelt und zeigte den Kindern eine große wirbelwindförmige Narbe auf seinem Unterarm.
Marguerite entdeckte ihre Mutter, rannte zu ihr und zog sie zu Alexander hinüber.
»Schau, Mama! Schau, da hat ihn ein Drache angeschnaubt!«
»Ein Drache?« Ida schüttelte lächelnd den Kopf.
»Ja, meine Schwiegermutter«, erwiderte Alexander mit einem Augenzwinkern, das er jedoch an die Kinder richtete, weil er es Ida gegenüber nicht an Respekt fehlen lassen wollte. »Komm, fass sie einmal an, wenn du Mut hast.« Er streckte Marguerite den Arm hin, woraufhin die Kleine quietschend zurückwich. »Wenn du es tust, darfst du dir etwas wünschen.«
»Letztes Mal habt Ihr gesagt, Ihr hättet Euch bei einem Sturm an einer Laterne verbrannt«, warf Hugh herausfordernd ein.
»So?« Alexander berührte mit dem Zeigefinger seinen Nasenflügel. »Du weißt doch, dass das Meer sich bei schlechtem Wetter verändert und die Gezeiten mit dem Mond wechseln?«
Hugh nickte.
»So verhält es sich auch mit Geschichten. Sie sind immer anders.«
Hugh verschränkte die Arme vor der Brust.
»Woher weiß man denn dann, was wahr ist und was nicht?«
Alexander fuhr fort, sich die Nase zu reiben.
»Tja, da liegt das Problem. Manchmal verändert sich nämlich auch die Wahrheit. Du musst selbst entscheiden, was du vom dem glaubst, was andere dir erzählen, und zu deiner eigenen Wahrheit kommen.« Er grinste Hugh an. »Daher musst du dich auch entscheiden, ob du glaubst, dass die Narbe hier von einem Drachen herrührt und ob meine Schwiegermutter zu diesen Kreaturen gehört. Aber vielleicht ist es auch bei einem
Kampf mit Piraten passiert, als ich auf dem Weg in das Heilige Land war … aber das ist eine andere Geschichte, die
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