Die Rose von Windsor: Historischer Roman (German Edition)
alles normal verlaufen würde. Von einer hinter ihr sitzenden Frau gestützt presste Ida mit aller Kraft. Sie hatte Stunden auf den Knien verbracht und Gott angefleht, sie nicht für die Sünde der Unzucht mit Henry zu bestrafen. Was, wenn der kleine William das einzige lebende Kind blieb, das sie je gebar?
»Ah, da ist ja schon der Kopf.« Die Hebamme machte sich zwischen Idas Schenkeln zu schaffen. »Und die Schultern …« Plötzlich veränderte sich der Ton ihrer Stimme. »Vorsichtig jetzt«, mahnte sie. »Vorsichtig, Mylady. Nicht mehr pressen!«
»Was ist denn?«, fragte Ida panikerfüllt.
»Nichts, Mylady, nichts Ernstes, aber presst jetzt nicht. Die Nabelschnur hat sich um den Hals des Babys gewickelt, und wir wollen nicht, dass sie sich zu fest zuzieht …«
Ida schloss keuchend die Augen und kämpfte gegen den nahezu überwältigenden Drang an zu drücken.
Heilige Mutter Gottes, heilige Margaret, lasst das Baby leben! Lasst es nicht tot zur Welt kommen … bitte nicht!
Die Hebamme nickte ihr beruhigend zu.
»So, sie hat sich gelöst. Jetzt presst wieder«, befahl sie, »aber sacht, Mylady, so sacht wie eine Frühlingsbrise.«
Ida tat, wie ihr geheißen, und einen Moment später hielt die Frau ein bläuliches kleines Bündel in die Höhe.
»Ein schöner Junge«, sagte sie, während sie Mund und Nase des Neugeborenen säuberte und eine andere Frau die pulsierende Nabelschnur durchtrennte. »Komm, kleiner Mann, jetzt zeig uns, dass du Leben in dir hast.« Sie nahm ihn bei den Fersen und gab ihm einen Klaps, woraufhin er wimmerte und immer lauter schrie, als die Hebamme ihn aufrichtete und zu einer großen Zinkschüssel trug, die eine ihrer Gehilfinnen mit lauwarmem, mit Rosenöl versetztem Wasser gefüllt hatte.
»Ist… ist alles in Ordnung mit ihm?« Voller Angst beobachtete Ida die Frau.
»Aber ja, Mylady«, versicherte Dame Cecily ihr. »Wir hatten nur einen Moment lang Sorge, aber jetzt ist alles gut.« Sie lächelte breit. »Ihr habt einen prächtigen Sohn.«
Die Frau an der Schüssel hatte das Baby behutsam abgewaschen, hüllte es jetzt in ein warmes Tuch und brachte es zu Ida.
Ida fürchtete sich fast, ihren Sohn anzusehen, als sie ihn in die Arme nahm. Die Erinnerung daran, wie sie ihren Erstgeborenen zum ersten Mal so gehalten hatte, war untrennbar mit diesem Augenblick verknüpft. Damals war sie verängstigt, erschöpft und verwirrt gewesen. Heute erfüllten sie andere, aber nicht weniger schwer zu verarbeitende Gefühle. Zwar war sie ebenfalls erschöpft, aber sie empfand wegen dem, was in der Vergangenheit geschehen war, eine unterschwellige Schuld. Obwohl sie sich freute, Roger einen Erben geschenkt zu haben, plagte sie die Angst, sie könne ihm keine gute Mutter sein und Gott würde sie durchschauen und bestrafen, indem er ihr erneut ein Kind nahm. Dennoch bot sie all ihren Mut auf und betrachtete ihren Sohn.
Glücklicherweise hatte er kaum Ähnlichkeit mit seinem
Halbbruder. Seine Züge glichen denen Rogers. Seine Augenbrauen waren zarte Goldfäden, keine kräftigen dunklen Linien wie bei William. Eine Welle von Liebe schlug über ihr zusammen und drohte ihr den Atem zu rauben. Er sollte Hugh genannt werden, ein traditioneller Name für die Söhne der Familie Bigod, und sie flüsterte ihm diesen Namen zu und versprach ihm, dafür zu sorgen, dass es ihm nie an etwas fehlte.
»Sag meinem Mann Bescheid«, bat sie eine der Frauen tränenerstickt. »Sag ihm, dass er einen Sohn hat.«
Aufgeregt, besorgt und sich angesichts all der Frauen sichtlich unwohl in seiner Haut fühlend betrat Roger die Schlafkammer. Den letzten Monat vor der Geburt hatte er in einer abgetrennten Ecke der Halle geschlafen und dort auch alle seine Geschäfte getätigt, um Ida nicht zu stören.
Seit die Wehen vor über einem halben Tag eingesetzt hatten, hatte er wie auf glühenden Kohlen gesessen. Er hatte sich immer eingebildet, in jeder Lebenslage ruhig und geduldig bleiben zu können, aber seit die Geburt begonnen hatte, war er wie ein gefangenes Tier durch die Halle gelaufen und hatte jeden barsch angefahren, der sich in irgendeiner Angelegenheit an ihn wandte. Die Nachricht, dass Ida einen Sohn zur Welt gebracht hatte und Mutter und Kind wohlauf waren, erfüllte ihn mit solcher Erleichterung, dass er nur benommen nicken konnte.
Aus der neuen Eichenholzwiege ertönte ein katzenhaftes Jammern. Roger ging zu ihr hinüber und spähte hinein. Sein Sohn lag nackt auf einem weichen Lammfell, damit sein Vater
Weitere Kostenlose Bücher