Die Rosen von Montevideo
entscheiden«, fuhr ihr Leonora barsch über den Mund.
Triumph leuchtete in ihren Augen auf, und da erst merkte Valeria, wie verbittert diese Frau sein musste, wenn es ihr solche Befriedigung bereitete, ihr zuzusetzen.
Wut packte sie, und sie ging mit beiden Händen auf sie los. Wie gerne hätte sie sie geschlagen oder ihr das aufgedunsene Gesicht zerkratzt, doch ehe sie sie erreichte, hielt die Hebamme sie von hinten fest. Sie strampelte mit den Füßen, aber die trafen nur Luft, während Leonora ganz gemächlich den Raum verließ. Valeria schrie ihr Beschimpfungen nach, bis sie heiser war, aber Leonora kehrte nicht zurück, und die Hebamme ließ sie schließlich wieder los.
»Wenn du dich zu viel aufregst, erledigt sich das Problem ganz von selbst«, erklärte sie kalt.
Als Valeria allein war, weinte sie stundenlang, bis sie zu erschöpft war, um noch Tränen zu haben. Am liebsten hätte sie geschlafen und wäre nie wieder aufgewacht, aber sie zwang sich, seit langem wieder eine ordentliche Portion zu essen. Ganz gleich, was Leonora sagte, sie wollte das Kind, und sie würde darum kämpfen, wenn sie auch noch nicht wusste, wie.
Am Abend kam Isabella zu ihr ins Zimmer geschlichen. Offenbar hatte Leonora ihr nichts von Valerias bösen Worten berichtet, denn Isabella wirkte sichtlich zerknirscht. »Es tut mir alles so leid.«
»Es ist doch nicht deine Schuld«, murmelte Valeria.
»Aber du bist damals nur meinetwegen ins Lagerhaus gegangen …«
»Ja, und auf diese Weise habe ich Valentín kennengelernt. Und das bereue ich nicht, darüber bin ich vielmehr sehr glücklich.«
Isabella starrte sie etwas ungläubig an, fügte dann aber zaghaft hinzu: »Ich würde dir so gerne helfen, doch ich kann nicht.«
»Wo ist Claire?«
Isabella senkte ihren Blick. »Mama hat ihr verboten, dich zu sehen.«
Valeria sank das Herz. Wie sollte sie die Tage in ihrem Gefängnis nur ohne Claire ertragen? Und wie ohne ihre Hilfe aus dem Haus fliehen? Doch das musste sie unbedingt! Je eher, desto besser!
»Ich werde dir Gesellschaft leisten, wenn es dir recht ist.«
Eigentlich wollte Valeria lieber allein sein, aber sie wusste, die Tage würden ihr noch lang werden, und Isabella war eine gute Seele.
»Gerne«, erwiderte sie.
»Wir könnten handarbeiten«, schlug Isabella schüchtern vor.
Im Pensionat hatte Valeria das Nähen immer gehasst. Doch das sagte sie nicht laut. »Meinetwegen …«
»Dann hole ich den Stickrahmen!«, rief Isabella eifrig und eilte schon hinaus.
Als sich wenig später die Tür erneut öffnete, erwartete Valeria ihre Cousine und drehte sich daher nicht zu ihr herum. Erst als eine tiefe Stimme ertönte, die »mein Mädchen« sagte, zuckte sie zusammen.
»Espe!«
Sie stürzte auf sie zu, sank an den runden Leib und ließ sich von den rauhen, warmen Händen übers Haar streichen.
»Espe«, wiederholte sie.
»Schscht, ich bin ja da …«
»Wann bist du nach Montevideo gekommen?«
»Schon vor Monaten. Als ich dich hier im Hause der de la Vegas’ nicht angetroffen habe, bin ich zu meiner Schwester gereist.«
»Ich wusste gar nicht, dass du eine Schwester hast.«
»Sie lebt bei ihrem Stamm im Landesinneren.«
Nie hatte Espe über ihre Vergangenheit gesprochen, doch ehe Valeria etwas dazu fragen konnte, fuhr sie fort: »Sie hat das zweite Gesicht. Und ich dachte, sie könnte mir helfen, etwas über deinen Verbleib herauszufinden.«
»Und? Was hat sie gesagt?«
Espe schwieg lange, ihre Miene war unergründlich. »Sie sagte mir, dass du noch lebst. Aber auch, dass du um eines Mannes willen großes Leid wirst ertragen müssen. Und noch größeres Leid um ein Kind.«
Jede andere hätte Valerias Lage behutsamer umschrieben, doch diese war froh, Espe nicht lange und breit erklären zu müssen, was geschehen war.
»Es ist alles so furchtbar!«
Espe umarmte sie so fest, wie sie es noch nie getan hatte. Zum zweiten Mal an diesem Tag weinte Valeria hemmungslos.
25. Kapitel
C arl-Theodor war schon unzählige Male von Montevideo nach Hamburg gereist, doch nie hatte die Fahrt unter einem solch schlechten Stern gestanden wie dieses Mal. Auf der Höhe des Äquators war das Dampfschiff in einen derart schlimmen Sturm geraten, dass er schon fürchtete, sie würden kentern. Zwar entgingen die Passagiere dieser Katastrophe, aber das Schiff war danach so sehr beschädigt, dass sie erst einen Zwischenstopp auf den Azoren einlegten, wo eine notdürftige Reparatur ausgeführt wurde, und einen weiteren auf den
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