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Die Rosen von Montevideo

Die Rosen von Montevideo

Titel: Die Rosen von Montevideo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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entfuhr seiner Kehle. Er war so glücklich, dass er sie am liebsten gepackt und im Kreis gedreht hätte, doch an der ernsten Miene erkannte er, dass sie fürs Erste nur mit der halben Wahrheit herausgerückt war.
    »Sag mir alles!«, forderte er heiser.
    Sie erzählte ihm, was sie über Valerias Heimkehr wusste: dass sie nicht allein nach Montevideo zurückgekehrt war, sondern mit einem Paraguayer. Und dass sie sich in diesen verliebt hatte, obwohl er einer der Entführer und obendrein ein Erzfeind des Landes war. Die ganze Stadt zerriss sich das Maul über diese Liaison. Zwar war der Paraguayer im Gefängnis gelandet, und die de la Vegas’ verboten Valeria, das Haus zu verlassen, doch das Gerücht ging, dass sie schwanger war.
    »Mein Gott …«
    Carl-Theodor musste sich auf eine Bank setzen. Er achtete nicht auf die dünne Schneeschicht, die diese bedeckte und die Hosen durchnässte, sondern war nur dankbar, dass Susanna ihm die Zeit gab, die Nachricht zu verdauen. Als er sich endlich wieder gefangen hatte, musterte er sie genauer. Er wusste, seine Gedanken sollten Valeria gelten, doch er konnte nicht anders, als sie anzusehen. Trotz der einfachen Kleidung, trotz des zu kleinen Huts und der Tatsache, dass sie erbärmlich fror, strahlte sie eine Würde aus, wie er sie nur an wenigen Menschen je wahrgenommen hatte, so auch Selbstsicherheit und Entschlossenheit.
    »Und um mir die Nachricht von Valerias Geschick zu überbringen, bist du eigens hierher nach Hamburg gereist?«, fragte er fassungslos.
    Sie schüttelte den Kopf und lächelte wieder, verstohlener diesmal und zugleich etwas spitzbübisch. »Nein, ich bin gekommen, weil ich mir nach unserem Gespräch so manchen Gedanken gemacht habe«, bekannte sie. »Wenn das Leben tatsächlich einem wilden Fluss gleicht, wie manche sagen, so habe ich das Boot, in dem ich sitze, viel zu lange treiben lassen – obwohl doch ein Ruder bereitliegt, das ich ergreifen und mit dem ich die Richtung steuern könnte.«
    Carl-Theodor erhob sich und strich sich geistesabwesend über die nasse Hose.
    »Ich habe beschlossen, in ein lichteres Haus zu ziehen«, brach es aus ihm hervor. »Mit hohen Fenstern und Blick auf die Alster.«
    Er wusste nicht, warum er es ausgerechnet ihr und noch dazu in diesem Augenblick anvertraute, aber es fühlte sich richtig an, und es schien keine besseren Worte zu geben, um auszudrücken, wie gut er sie verstand und dass auch er die Hoffnung hegte, seinem Leben eine neue Richtung zu geben. Ehe sie etwas dazu sagen konnte, fragte er schnell: »Wo bist du untergebracht?«
    »Noch in einem Hotel, aber meine Ersparnisse reichen nicht ewig. Ich werde mir etwas anderes suchen müssen – vor allem aber Arbeit. Ich überlege, eine Gastwirtschaft in Sankt Pauli zu eröffnen. Gewiss, das ist ein verruchtes Viertel, aber auf Moral habe ich nicht viel gegeben, und mit Lumpen aller Art kann ich umgehen.«
    Sie lachte auf, und er stimmte ein. Er war sich nicht sicher, worüber sie lachten, nur dass es beschwingt und herzlich klang – trotz allem.
    Nach einer Weile wurde er wieder ernst. Er wollte so viel sagen: dass sie sein Gast sein sollte, dass er sich wünschte, sie würde ihre Pläne fürs Erste aufschieben und ihn stattdessen in den Taunus begleiten, dass er in den letzten Wochen so oft an sie gedacht hatte. Auch, dass er ihre Gesellschaft genoss und nicht darauf verzichten wollte.
    Er brachte kein Wort über die mit einem Mal trockenen Lippen. Er war nie gut darin gewesen, Frauen zu umschwärmen, und an Antonies Seite hatte er es endgültig verlernt.
    Doch dann ging ihm auf, dass Worte gar nicht notwendig waren, um ihre Verbundenheit zu beteuern. Sie nahm seine Hand wie damals, als sie in der Gaststube saßen, und er erwiderte ihren festen Druck und ließ sie nicht mehr los.
     
    Rosa war immer schwermütig geworden, wenn der Herbst sich neigte und der erste Schnee fiel. Jene weiße Decke war ihr nie als Zeichen von Reinheit und Unschuld erschienen, sondern hatte ihr das Gefühl gegeben, darunter zu ersticken. Doch in diesem Winter blieb die übliche Starre aus, stattdessen wuchs die Unruhe in ihrem Herzen. Sie konnte kaum still sitzen, fühlte sich lebendig und tatendurstig wie einst als temperamentvolles junges Mädchen, nur dass sie kein Ziel hatte, auf das sie ihre Energie richten konnte. Stundenlang ging sie sinnlos im Haus auf und ab und verkrampfte die Hände ineinander, um still zu beten. Das Vertrauen in Gott hatte sie zwar längst verloren, aber

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