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Die Rosen von Montevideo

Die Rosen von Montevideo

Titel: Die Rosen von Montevideo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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überquollen.
    Tabitha besaß eine Unmenge an Kleidern – für alle Tageszeiten und Anlässe, zum Ausreiten, selbst für Krocket und Tennis. Bei Letzterem wurde das quälende Mieder ausnahmsweise abgelegt und robuste Materialien wie Baumwolle oder Tweed gewählt. Am heutigen Abend war daran natürlich nicht zu denken: Sie würde ein prächtiges Ballkleid tragen, das, sobald Carlota es anlegte, fast das gesamte Boudoir ausfüllte. Vor einigen Jahren war die Krinoline neu in Mode gekommen, wenngleich die Weite nach hinten verlagert und alles Augenmerk auf das gebauschte Hinterteil, den »Cul de Paris«, verlagert worden war. Durch die Erfindung der Anilinfarben hatte sich die Palette an möglichen Farbtönen erweitert: Dieses hier war in einem hellen Roséton gehalten mit einem Überrock in blassem Grün, der hervorragend mit ihren hellen Augen harmonierte, und einem mit weißer Spitze verbrämten Dekolleté.
    Carlota starrte hingerissen in den Spiegel. Sie sah so jung in diesem Kleid aus! Nichts ließ die mühevolle, armselige Jugend, die hinter ihr lag, erahnen! Sie war eine vom Leben ebenso wie von ihren Großeltern verwöhnte junge Frau in ihren besten Jahren.
    »Du musst schrecklich aufgeregt sein«, sagte die Schneiderin – eine Französin, die seit Ewigkeiten in Frankfurt lebte, ihre Stilsicherheit hier aber nicht verloren hatte und Véronique hieß. Sie sprach immer etwas nuschelnd, weil sie ständig Stecknadeln im Mund hatte. An ihrer Seite waren zwei Assistentinnen, die Carlota geholfen hatten, das Tageskleid auszuziehen und ins Ballkleid zu schlüpfen. Sie hatte etwas zugenommen, weil sie den vielen köstlichen Speisen nicht widerstehen konnte, aber weil sich die Schneiderin an Tabithas Maßen orientiert hatte und diese etwas üppigere Formen hatte, saß das Kleid perfekt.
    »Es werden viele junge Männer da sein«, sagte Véronique. »Hast du schon auf jemand Bestimmten ein Auge geworfen?«
    Carlota verkniff sich eine ungehaltene Antwort. Sie verstand nicht, warum sich hier im Leben junger Frauen alles nur um den künftigen Bräutigam drehte. Es herrschte ein regelrechter Wettkampf, wer die beste Partie zum Altar führte, und deswegen mussten ständig Gelegenheiten gefunden werden, um die jungen Leute zusammenzubringen. Obwohl Carlota aufgrund der Kopfverletzung während des Erdbebens als zu schwach galt, vollständig am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, hatte sie gemeinsam mit Rosa schon mehrmals den Palmengarten oder die Niederräder Galopprennbahn besucht. Nicht dass sie das nicht auch genoss. Aber die taxierenden Blicke der jungen Männer und das Kichern der anderen Mädchen waren ihr unangenehm. Selbst beim sonntäglichen Kirchgang in den Dom war es nicht anders. Die Männer starrten sie begierig an, die Frauen tuschelten, und obwohl Carlota gewiss keinen großen Wert auf eine innige Andacht legte, verstand sie nicht, wie man sich während der Messe stundenlang über Adelstitel, die Höhe der Mitgift oder die neuesten Skandale unterhalten konnte. Dass die anderen Mädchen so aufs Heiraten versessen waren, hatte natürlich auch einen Vorteil: Die Freundschaften, die Tabitha früher gepflegt hatte, waren aus diesem Grund eher oberflächliche Zweckgemeinschaften als tiefe, vertrauliche Bindungen, und keinem dieser Mädchen war ihre Veränderung aufgefallen. Sie hatten neugierig gefragt, ob sie in Montevideo junge Männer kennengelernt hatte, doch als sie verneinte, war das Interesse an ihren Beiträgen zur Konversation deutlich erloschen.
    »Also«, drängte Véronique. »Wer ist dein Auserwählter?«
    »Ich brauche nicht unbedingt einen Mann, um glücklich zu sein«, entfuhr es Carlota trotzig.
    Sie biss sich auf die Lippen – ihre Unverblümtheit war ihr schon oft fast zum Verhängnis geworden.
    Doch die Schneiderin lachte bloß. »Das lässt du die Herren der Schöpfung aber besser nicht wissen. Die meisten Männer erwarten eine gefügige Frau.«
    Carlota runzelte die Stirn. Es befremdete sie bereits, dass alle Frauen darauf aus waren, einen geeigneten Ehemann zu finden, doch noch schlimmer war, dass sie ihre Chancen ernsthaft zu erhöhen glaubten, indem sie sich möglichst dumm und schwach gaben und selbst noch den hässlichsten, einfältigsten Tölpel anschmachteten. So etwas kannte Carlota nicht: Ihre Mutter Valeria hatte sich immer als starke, selbstbewusste Frau erwiesen, die sich ihrem Mann ebenbürtig gefühlt und das mit jeder Geste, jedem Wort unterstrichen hatte. Doch hier galt es

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