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Die Rosen von Montevideo

Die Rosen von Montevideo

Titel: Die Rosen von Montevideo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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dreckige Kleidung trug und tränenüberströmt war, doch nachdem die andere eine Weile ziemlich wirr auf sie eingeredet hatte und schließlich um ihre Hilfe flehte, da überkam sie eine Ahnung.
    Sie musterte sie eindringlich. »Tabitha? Ich dachte, du bist nach dem Erdbeben nach Deutschland zurückgekehrt und …«
    Das Mädchen senkte seinen Blick. »Tabitha ist tatsächlich in Deutschland, aber ich …«
    Sie stockte, und Claire kam ein ungeheuerlicher Verdacht. War es wirklich möglich, dass sich Zwillinge so ähnlich sahen? Trotz der schäbigen Kleidung, die sie trug – das hier war doch Tabitha! Allerdings erklärte das Mädchen nun: »Ich bin Carlota.«
    »Mein Gott!«, stieß Claire aus. Sie konnte es nicht fassen. All die Jahre hatte sie völlig zurückgezogen gelebt – und nun war plötzlich nicht nur Luis wieder in ihrem Leben aufgetaucht, sondern auch Valerias Tochter.
    »Mein Gott, deine Eltern …«
    »Sie leben beide noch.«
    »Immer noch hier in Montevideo?«, fragte Claire heiser.
    »Ja, aber sie dürfen nicht wissen, dass ich hier bin. Bitte sagen Sie ihnen nichts. Ich wusste nicht, wohin ich gehen und an wen ich mich wenden sollte. Sie … Sie helfen mir doch, oder?«
    »Helfen wobei?«
    Das Mädchen sagte nichts, sondern brach in Tränen aus; außerdem schien es zu frieren, so wie es zitterte.
    Claire brummte der Schädel, als hätte sie zu viel getrunken – für einen Abend war das eindeutig zu viel Aufregung. Allerdings konnte sie Valerias Tochter unmöglich mit dem Verweis wegschicken, dass sie alt geworden war und sich an die Einsamkeit gewöhnt hatte.
    »Komm erst einmal mit hinein«, sagte sie seufzend, »dann bekommst du frische Kleidung, ein heißes Bad und etwas zu essen. Und später erzählst du mir in Ruhe, was passiert ist.«
     
    Tabitha fiel es schwer, sich im Netz von all ihren Lügen nicht zu verheddern. Mittlerweile lebte sie seit zwei Wochen bei Claire und musste immer noch jedes Wort sorgsam abwägen, um sich nicht zu verraten. Es war das eine, sich gegenüber Valeria und Valentín als deren Tochter auszugeben, als vor Claire Carlota zu spielen, obwohl diese ihre Nichte Tabitha ja kannte. Mehrmals war sie kurz davor, sich zu verplappern, und das Einzige, was ihr dann aus der Klemme half, war die Tatsache, dass Claire ungewöhnlich verwirrt wirkte. Schon am Abend, als sie vor ihrem Haus gewartet hatte, war sie unaufmerksam und in Gedanken versunken gewesen, und so blieb es auch in der Zeit, die folgte. Oft starrte sie ins Nichts, und wenn Tabitha sie anredete, blickte sie sie an, als erwachte sie aus einem langen Traum.
    Wäre es anders gewesen, hätte sie sich sicher in den Kopf gesetzt, nach ihren Eltern zu suchen. So aber fragte sie sie zwar nach Valentín und Valeria aus, und Tabitha erzählte alles, was sie über die beiden wusste, aber als sie sie bat, keinen Kontakt mit ihnen aufzunehmen, fügte sich Claire unerwartet schnell. Bei der Begründung, warum sie von zu Hause geflohen war, blieb Tabitha teilweise bei der Wahrheit: Sie erzählte, dass sie sich verliebt hätte, ihr Vater jedoch gegen die Verbindung gewesen sei. Auch wenn jener Mann mittlerweile die Stadt verlassen hätte, könnte sie ihrem Vater nicht verzeihen und wollte nicht mehr zurück. Zunächst hätte sie nicht weitergewusst, aber dann hätte sie alte Briefe entdeckt und so von der wahren Herkunft ihrer Mutter erfahren.
    Claire hatte geistesabwesend genickt und am ersten Abend verkündet, was sie später noch des Öfteren bekräftigt hatte: »Du kannst natürlich fürs Erste hierbleiben.«
    Tabitha war erleichtert, dass sie ihr seitdem nicht noch mehr Lügen auftischen musste, wusste aber, dass das Schwerste noch bevorstand: ihr die Schwangerschaft anzuvertrauen. Bald würde sie diese nicht länger verheimlichen können. Ihre Brüste wuchsen und spannten schmerzhaft, ihr Leib rundete sich, ganz zu schweigen von ihrem merkwürdigen Verhalten – mal hatte sie großen Appetit, mal verweigerte sie vor Übelkeit jeden Bissen. Mal schlief sie tagsüber ein, mal lag sie nächtelang wach, mal war ihr zum Weinen zumute, mal lachte sie schrill und grundlos. Gewiss, noch konnte sie das körperliche Unwohlsein auf Nachwirkungen des Erdbebens schieben, aber irgendwann würde sie die Wahrheit nicht mehr vertuschen können. Irgendwann würde Claire ihrer Umgebung auch wieder mehr Aufmerksamkeit zollen und herausfinden, was passiert war.
    Die schweren Gedanken folgten ihr überallhin, auch in den Garten, wo sie

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