Die Rosen von Montevideo
sie auf dem Stuhl zusammen.
41. Kapitel
S owohl Luis als auch Valentín boten an, Tabitha zum Haus zurückzutragen, aber Claire hob abwehrend die Hände. »Ihr habt schon genug angerichtet«, rief sie streng.
Valeria sagte nichts zu alledem. Sie starrte völlig fassungslos auf das Mädchen, das ihre zweite, totgeglaubte Tochter war.
Schließlich war es Antonio, der Tabitha zur Quinta trug. Den ganzen Weg über redete er beruhigend auf sie ein, während Claire neben ihr herlief und ihre Hand hielt.
»Das Kind«, klagte Tabitha, als sie den Garten erreichten. »Ich habe solche Angst um das Kind …«
»Ganz ruhig«, tröstete Claire sie, »ich schicke Claudio sofort los, damit er einen Arzt holt. Es wird alles gut, du wirst sehen. Warum hast du mir denn nicht gesagt, dass du schwanger bist?«
Tabitha errötete. »Ich hatte keine Ahnung, wie es weitergehen sollte … vor allem, nachdem José die Stadt ohne mich verlassen hat. Ich dachte, mein Leben sei ruiniert, und ich wusste nicht, wohin, deswegen bin ich zu dir gekommen und habe dich belogen. Es tut mir so leid. Es …« Sie brach ab. »Ich will das Kind nicht verlieren.«
Claire fiel nichts anderes ein, als einmal mehr tröstend ihre Hand zu drücken und Antonio zuzunicken, damit der seine Schritte beschleunigte. Schon traten sie über die Schwelle, und Valeria, die sich endlich aus ihrer Starre gelöst hatte und nachgeeilt war, wollte ihnen rasch folgen. Claire hielt sie zurück.
»Warte ein wenig! Ich weiß, dir liegen unendlich viele Fragen auf den Lippen, aber das alles wird zu viel für sie! Und auch du musst dich erst einmal sammeln …«
Valeria war kreidebleich. »Sie lebt …«, stammelte sie ein ums andere Mal. »Sie lebt noch. In all den Jahren habe ich immer gedacht, sie wäre damals gestorben. Sie war doch so klein, so schwach und konnte kaum atmen …«
»Vor allem war sie ziemlich zäh.«
»Tabitha …«, flüsterte Valeria ehrfurchtsvoll. »Damals habe ich sie einfach verlassen, ohne ihr einen Namen zu geben. Und in den letzten Wochen habe ich sie nicht einmal erkannt. Ich war so mit meinem eigenen Elend beschäftigt.«
Tränen traten in ihre Augen, und sie wirkte so zerknirscht, dass Claire sie am liebsten tröstend in den Arm genommen hätte, doch dafür war keine Zeit. Schnell folgte sie Antonio ins Innere des Hauses, wo dieser Tabitha behutsam auf ein Sofa gelegt hatte. Tabitha war immer noch blass im Gesicht, aber sie krümmte sich nicht mehr so erbärmlich, und obwohl Claire nicht viel von Schwangerschaften wusste, hielt sie das für ein gutes Zeichen. Trotzdem schickte sie Claudio den Arzt holen, und der Haushälterin befahl sie, frischen Tee aufzusetzen.
Entgegen ihrem Rat war Valeria ins Wohnzimmer gefolgt und neben dem Sofa auf die Knie gesunken. »Dass ich dich nicht erkannt habe …«
»Es tut mir so leid«, Tabitha zitterte, »es war falsch, dass ich euch alle belogen habe.«
»Denk nicht daran, darüber reden wir später.«
Claire trat vor das Haus, um auf den Arzt zu warten und tief durchzuatmen. Mittlerweile waren auch Valentín und Luis nachgekommen. Sie wirkten beide beschämt und hatten rote Flecken im Gesicht. Luis trug Dolores auf seinem Arm und hielt Monica an der anderen Hand. Die beiden Mädchen wirkten nach allem, was sie beobachten mussten, schrecklich aufgeregt, und Dolores weinte sogar.
»Wenigstens ich hätte sie erkennen müssen …«, sagte Valentín. »Schließlich war ich nicht blind wie Valeria. Allerdings habe ich doch nicht gewusst, dass sie eine zweite Tochter hatte – sie hat es mir bis vor kurzem verschwiegen.«
Luis strich der weinenden Dolores über den Kopf. »Mein Gott, ich habe sie getreten! Wenn sie das Kind verliert, ist es allein meine Schuld!«
Claire blickte von einem zum anderen, während sie drinnen weiterhin Valeria auf ihre Tochter einreden hörte, und konnte all die Selbstbezichtigungen plötzlich nicht länger ertragen.
»Schluss jetzt!«, rief sie energisch. Luis und Valentín blickten sie erstaunt an. »Tabitha braucht Ruhe – und was euch betrifft: Reicht es nicht endlich, mit der eigenen Vergangenheit zu hadern, sich Fehler zu bezichtigen, Versäumnisse zu beklagen und die anderen mit Hass und Vorwürfen zu verfolgen? Ist es nicht endlich an der Zeit, zu vergeben – uns selbst und allen, von denen wir denken, sie sind an uns schuldig geworden? Lassen wir die Vergangenheit doch ruhen und ab heute das Beste aus unserem Leben machen.«
Ihre Wangen glühten
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