Die Rosen von Montevideo
ihr Urenkelkind mitgenommen, doch Tabitha hatte sich darauf versteift, vorerst in Montevideo zu bleiben. Valeria wusste selbst nicht genau, was sie dazu trieb, ob die Liebe zum Land oder die Hoffnung, dass José sich wieder zeigte. Sie selbst glaubte nicht daran, denn all die Monate hatten sie nichts von ihm gehört, doch in jedem Fall war Tabitha nicht mehr so verzagt und beschämt wie zu Beginn der Schwangerschaft. Vielleicht steckte auch Antonio Silveira dahinter, der wie seine beiden Schwestern häufig zu Besuch bei Claire, ihrer künftigen Stiefmutter, waren. Um dauerhaft hier zu leben, war die Quinta zu klein, weswegen die neue Familie nach der bald geplanten Hochzeit von Claire und Luis ein neues Landhaus beziehen würde – und Valeria und Valentín die Quinta übernehmen würden.
Valeria war erleichtert, dass Claire und Luis ihr Glück gefunden hatten. Es ließ sie so jung erscheinen und machte seinen oft so strengen Blick ganz weich. Alle schienen sie zufriedener – auch Isabella, die zu neuem Selbstbewusstsein gelangt war, nachdem sie ihrer Mutter die Stirn geboten hatte. Nur Carlota machte ihr ein wenig Sorgen. Obwohl ihre Armwunde gut verheilt war, wirkte sie fahrig und blass.
Die Hebamme, die sich bis jetzt im Hintergrund gehalten hatte, schaltete sich ein. »So, nun wollen wir Mutter und Kind ein wenig Ruhe gönnen«, erklärte sie.
Als sie den Raum verließen, zog Valeria Carlota zu sich. »Wir haben noch nicht darüber gesprochen, aber wenn du willst, dann kannst du gerne deine Großmutter nach Deutschland begleiten. Sie würde sich sicher sehr freuen.«
Zu ihrer Verwunderung schüttelte Carlota energisch den Kopf. »Das Leben dort war wunderbar, aber es fühlte sich nicht wirklich an, eher wie ein Traum.«
»Aber ich dachte, dich bekümmert der Gedanke an unsere Zukunft. Meine Eltern werden uns künftig unterstützen, doch so prächtig wie im Taunus werden wir hier nicht leben.«
»Das ist in Ordnung …«, gab Carlota leise zurück. Ihre Miene blieb bedrückt, ihr Blick schweifte ab.
Valeria ging ein Licht auf. »Es ist Nicolas, nicht wahr? Die Erinnerungen an ihn machen dich so traurig.«
Carlota schien es kurz leugnen zu wollen, aber dann gestand sie ein: »Nachdem sein Vater verhaftet wurde, haben wir uns nicht wieder gesehen. Gewiss, ich gebe ihm nicht die Schuld an dem, was passiert ist. Aber ich fürchte, er hat mich nie geliebt. Zumindest nicht so wie ich ihn. Und selbst wenn – es steht zu viel Trennendes zwischen uns.«
»Auch wenn ihr keine Aussicht auf eine gemeinsame Zukunft habt, wäre es wichtig, euch auszusprechen.«
Carlota schüttelte den Kopf. »Das würde bedeuten, dass ich nach Deutschland zurückkehren müsste, und im Moment steht mir nicht der Sinn nach einer weiteren Reise. Ich verbringe meine Zeit lieber mit meiner kleinen Nichte. Sie ist so zauberhaft, nicht wahr?«
Und ehe Valeria noch etwas einwenden konnte, zog sie sich zurück.
Einige Wochen später saßen die beiden Schwestern im Garten der Quinta: Wie so oft waren sie allein, denn Claire und Luis waren mit Dolores und Monica bei ihrem neuen Haus. Luis bewachte strikt den Fortschritt, den die Bauarbeiten nahmen, und Claire pflanzte im Garten bereits die ersten Bäume. Über die Arbeit dort vernachlässigte sie diesen hier, der mehr und mehr verwilderte, aber zumindest spendeten die in alle Richtungen wachsenden Hecken wohltuenden Schatten. Valeria war auch nur selten hier, arbeitete sie mittlerweile doch wie Valentín bei der Gewerkschaftszeitung, die sie für die Einwanderer auf Deutsch übersetzte.
Der einzige treue Gast war Antonio, der nun schon seit einer Stunde die kleine Rosalia herumtrug.
Carlota blickte ihn verwundert an, als er begann, ein Lied zu summen. »Wenn man ihn so sieht, hat man das Gefühl, er hätte das ganze Leben nichts anderes gemacht«, murmelte sie.
»Hm«, machte Tabitha nachdenklich.
»Er scheint kleine Kinder wirklich zu lieben.«
»Hm.«
Carlota zwinkerte ihr vielsagend zu. »Und ihre Mütter auch«, rief sie keck.
Diesmal kam keine Entgegnung.
»Warum bist du so wortkarg heute?«, fragte Carlota.
»Wieso ich?«, fuhr Tabitha auf. »Du willst mir seit Wochen nicht erzählen, was genau zwischen dir und Nicolas vorgefallen ist.«
»Warum auch?«, gab Carlota schnippisch zurück. »Er spielt in meinem Leben keine Rolle mehr.«
Tabitha lächelte nachsichtig. »Und du denkst auch nicht mehr an ihn?«, bohrte sie nach. »Ach, mach mir nichts vor! Ich weiß genau,
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