Die Rosen von Montevideo
sondern vor anderen, die sich nicht bemühten, ihr Geschlecht vom Verdacht der Hysterie loszusprechen, sondern jenes Vorurteil, wonach sie wankelmütiger, hilfloser und dümmer wären als die Männer, bestätigten – und damit nicht nur sich selbst, sondern allen anderen Frauen einen Bärendienst erwiesen.
Antonie löste sich vom Türrahmen. Bis jetzt war sie Alberts Frau geflissentlich aus dem Weg gegangen, auch wenn Adele es gerne gesehen hätte, dass sie sich mehr um sie kümmerte, doch heute änderte sie ihre Taktik.
Sie bemühte sich um einen mitleidigen Tonfall, als sie fragte: »Was ist denn passiert?«
»Nichts …«, stammelte Rosa. »Das ist es ja … nichts passiert … Mir ist so langweilig. Es regnet immerzu. Und ich musste an mein Zuhause denken.«
Antonie trat zögerlich näher und lehnte sich an die Chaiselongue. »Du solltest dich ablenken, indem du dich deinen Pflichten widmest.«
Der Schmerz in Rosas Gesicht wich der Überraschung. »Welchen Pflichten?«
»Nun, du bist die Frau von Albert Gothmann.«
»Aber hier im Haus werden alle Arbeiten von den Dienstboten erledigt! Sie wissen genau, was sie zu tun haben – ich hingegen habe keine Ahnung.«
Antonie zog ihre Braue hoch, aber schluckte ansonsten ihre Verachtung herunter. »Ich meine nicht die Haushaltsführung – die ist bei Frau Lore in der Tat in den besten Händen –, sondern deine gesellschaftlichen Pflichten.«
Rosa sah sie mit großen Augen an.
»Du weißt nicht, was das bedeutet?«, fragte Antonie gedehnt.
Rosa zuckte die Schultern. »In Uruguay bleiben die Frauen meist zu Hause – und unter sich.«
»Und siehst du – hier ist es ganz anders. Die bedeutenden Familien pflegen enge Kontakte.«
»Welche Familien?«
»Hat Albert dir etwa nichts darüber erzählt?«
Rosa schüttelte erst den Kopf, um dann zögernd zuzugeben: »Albert erzählt so viel … Er hat jede Menge Namen erwähnt, aber …«
Sie brach ab.
Antonie löste sich von der Chaiselongue und setzte sich zu ihr. Wie immer begnügte sie sich mit wenig Platz. Sie war eine schlanke Frau, die stets vorsichtig durch die Welt ging, als wollte sie nirgendwo anecken – und schon gar keines dieser wehleidigen Frauenzimmer berühren. »Dann erzähle ich dir nun auch etwas über diese Familien«, sagte sie. »Du solltest dir ihre Namen unbedingt merken, denn sie bestimmen Frankfurts Geschick. Da gibt es einmal die lutherischen Familien wie die Bethmanns oder Städels – allesamt Kaufmanns- und Bankiersfamilien und in den politischen Selbstverwaltungsgremien präsent.«
Rosa sah sie immer noch mit weit aufgerissenen Augen an, nickte jedoch.
»Dann haben wir die reformierten Familien. Sie sind erst nach 1806 in die Gremien aufgestiegen, und ihr Ehrgeiz, aller Welt zu beweisen, dass sie dazugehören, ist entsprechend groß.« Antonie lachte kurz auf. »Schließlich gibt es die katholischen Familien Brentano und Guaita, die gute Kontakte zu Italien haben, und einige Patrizierfamilien wie die von Brackhausen oder von Holzhausen, die sich gerne als Sammler betätigen, um aller Welt ihren Kunstverstand vor die Nase zu halten.«
Rosa hatte endgültig zu weinen aufgehört. »Du redest ja wie Albert!«, stieß sie aus. »Das sind so viele Namen! Die kann ich mir doch unmöglich alle merken.«
Antonie unterdrückte ein ärgerliches Zischen. Auch solche Frauen kannte sie zur Genüge – Frauen, die nichts wussten, es auch noch zugaben und mit großen Augen in die Welt blickten, gleich so, als wäre etwas nicht zu wissen und zu verstehen keine schreckliche Schande, sondern ein Vorrecht ihres Geschlechts.
»Nun, als ich seinerzeit nach Frankfurt kam, war es auch für mich schwierig, mich hier zurechtzufinden.«
»Du stammst aus Paris, nicht wahr?«
»Eigentlich bin ich auf der ganzen Welt zu Hause – wir haben nie an einem Ort gelebt.« Sie zögerte, ehe sie von ihrer Herkunft erzählte. Auch ihr Vater war Bankier gewesen, hatte nach einer Fehlspekulation jedoch sein Bankhaus verloren und danach als Associé gearbeitet – ein paar Jahre in der Great St. Helen’s Street im Londoner Finanzviertel, später wieder in Paris, wo die Rue de Provence das Zentrum der Finanzwelt bildete, eine Zeitlang schließlich bei wichtigen Kölner Privatbankhäusern. Dort hatte er gelernt, dass die Zukunft der Banken darin lag, Kredite an die Industrie zu verleihen und jenes Geld dafür einzusetzen, das man aus dem Handel gewinnt. Um einiges klüger geworden und überdies
Weitere Kostenlose Bücher