Die Rosen von Montevideo
Muster, sondern glich einem riesigen Gemälde: Eine fremdartige Landschaft war darauf zu sehen, mit Palmen, hohem Schilfrohr und verwinkelten Gebäuden, wie man sie hierzulande nicht kannte.
»Solche gemalten Tapeten von fremden Ländern sind gerade in Mode«, erklärte Albert. »Ich dachte, der Anblick heitert dich etwas auf, falls du Heimweh hast …«
Bis jetzt hatte Rosa nicht viele Gedanken ans ferne Montevideo verschwendet, beim Anblick der Palmen und dem blauen Streifen, der offenbar das Meer andeutete, aber stiegen ihr Tränen hoch. Doch sie wollte sie Albert nicht zeigen und rief frohgemut: »Vielen, vielen Dank! Dies ist fortan ein Stückchen Heimat für mich.«
Albert lächelte befriedigt. »Ich freue mich, dass es dir gefällt – und ich bin auch erleichtert, dass du dich so gut eingelebt hast. In den nächsten Monaten werde ich weniger Zeit für dich haben.«
Rosa blickte ihn verwundert an. Sie hatte erwartet, dass es immer so weitergehen würde, dass er nur die Vormittage in der Bank, die Nachmittage jedoch bei ihr verbringen würde. Schon jetzt konnte sie seine Heimkehr meist nicht erwarten. »Aber was soll ich denn den ganzen Tag tun?«, fragte sie entsetzt.
Albert zuckte unsicher die Schultern. »Nun, ausreiten, Romane lesen, dein Deutsch verbessern.«
Rosa dachte insgeheim, dass sie nur ungern ritt, noch nie ein Buch gelesen hatte und mittlerweile recht passabel Deutsch sprach. Aber wieder wollte sie ihm ihren Kummer nicht zeigen, sondern lächelte ihm zu.
Das Elend überkam sie erst einige Wochen später. Albert blieb nun von Tag zu Tag immer länger weg, und die Langeweile machte sie verrückt. Bei gutem Wetter hielt nichts sie im Haus, doch jetzt regnete es häufig, und sie ging wieder und wieder durch die Räume und fühlte sich bei jedem Schritt wie eine Gefangene. Sie setzte sich aufs Sofa, stand erneut auf, ging hoch ins Schlafzimmer, kehrte abermals in den Salon zurück. Lange stand sie vor der Tapete – und heute verhieß sie nicht länger ein Stückchen Heimat, sondern nur, dass diese für immer verloren war.
Als Espe sie hier fand, war Rosa in Tränen aufgelöst. »Ich dachte, wir würden bald nach Montevideo zurückkehren«, schluchzte sie hemmungslos. »Aber anscheinend werden wir auf lange Zeit hierbleiben.«
»Macht Albert dich denn nicht glücklich?«, fragte Espe.
Rosa dachte nach. Sie war gerne mit ihm zusammen, vor allem in den Nächten, da sie seine Nähe und Leidenschaft genoss.
»Was nützt es mir, wenn er kaum da ist?«, fragte sie.
Espe seufzte. »Dir geht es wie deiner Mutter. Nachdem sie mit deinem Vater Valencia verlassen musste, hat sie sich auch lange nicht wohl gefühlt.«
Valeria de la Vegas’ Erwähnung machte es nicht leichter. Rosa hatte sie zwar nie gekannt, aber plötzlich überkam sie Sehnsucht nach einer Frau, in deren Adern ihr Blut floss, die sie ganz und gar verstand und nur das Beste für sie wollte.
Sie schlug die Hände vors Gesicht und weinte nun bitterlichst.
Als Albert am Abend von der Bank heimkehrte, war das Heimweh verflogen und Rosa wieder guter Dinge, doch schon am nächsten Morgen setzte neuer Regen ein. Wann immer sie aus dem Fenster sah, starrte sie auf eine graue Wand. Die Blätter der Bäume neigten sich unter dem Gewicht der Tropfen und boten einen trostlosen Anblick, den Rosa von ihrer Heimat nicht kannte. Während sie es zunächst als ebenso absonderliches wie faszinierendes Naturschauspiel betrachtete, ertränkten die Wasserfluten bald alle Fröhlichkeit, und das Grau, das sich wie ein erdrückender Schleier über das Land gelegt hatte, spiegelte den Zustand ihres Gemüts.
Stundenlang stand sie vor der Wandtapete und fühlte sich, als wäre sie aus dem Paradies vertrieben worden und ihr Leben damit unwiderruflich vorbei. Ihre Tränen bildeten einen so stetigen Fluss wie der Regen. Sie sehnte sich nach Sonne und Meer, sehnte sich nach ihren Tanten, sehnte sich nach Julio und selbst nach ihrem Vater. Sogar an Ricardo del Monte konnte sie denken, ohne dass sie das nackte Grauen packte. Was immer sie an seiner Seite hätte erdulden müssen – Regen hätte nicht dazugehört. Und auch wenn sie manchmal mit ihrer Familie gehadert hatte – in Montevideo hatte sie zumindest eine gehabt, hier hingegen nicht. Carl-Theodor war zwar immer freundlich, aber distanziert, seine Frau Antonie blieb ihr fremd, und Adele Gothmann zog sich weiterhin ständig in ihr Schlafzimmer zurück. Auch Rosa verbrachte nun die meiste Zeit in
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