Die Rosen von Montevideo
erklärte, feinere Gegend als jene um Bad Homburg, wohin es die einfachen Leute zog.
Sie durchkreuzten Rosas heißgeliebte Wälder, kamen aber auch an den Häusern der Großgrundbesitzer vorbei, umgeben von dicken Eichen, Gärten und Feldern.
Rosa sog den Stallgeruch ein – und fühlte sich an Montevideo erinnert, wo sich der Pferdemist an jeder Straßenecke häufte. Hier standen die Tiere auf der Weide – sanft hügelig und von sattem Grün wie das restliche Land.
»Wie schön!«, rief sie. »Hier fühlt man sich so viel freier als in der Stadt.«
Albert folgte schulterzuckend ihrem Blick. »Die Grundbesitzer hier haben oft große Not. Gewiss, ihre Anwesen sind prächtig anzusehen, aber die meisten haben den Sprung in die neue Zeit nicht geschafft. Von Landwirtschaft wird man nicht reich …«
Rosa ließ sich ihre Begeisterung fürs Landleben nicht nehmen – vor allem nicht, als sie ihr erstes Wochenende auf dem Landgut der Gothmanns verbrachten. Es lag im Taunus mit freiem Blick auf Kronberg zur einen und Königstein zur anderen Seite.
Mehrmals klatschte sie begeistert in die Hände, als Albert sie durch das Haus führte. Es war im 18 . Jahrhundert gebaut worden, mehr Schloss als Villa, mit großen Fensterfronten zu allen Seiten, die die Räume licht wirken ließen. Von der Halle im Erdgeschoss schlossen sich rechts Salon, Bibliothek und Arbeitszimmer an. Zur Linken betrat man den Speisesaal, der zur einen Seite zum Pflanzenzimmer führte, zur anderen ins Anrichtezimmer. An Letzteres grenzte der Trakt mit den Dienstbotenräumen, der Vorratskammer und der Küche. Von der Eingangshalle wiederum führte eine breite Treppe in den ersten Stock mit den Schlafgemächern.
Verzückt tanzte Rosa durchs Haus.
Der geraffte Mull der Vorhänge ließ die Räume noch heller wirken. Das Sonnenlicht fiel auf kunstvolle Vitrinen und Kirschbaumschränke, auf runde Tischchen mit schlanken Beinen, auf weiße Säulen und die beliebten Lyra-Stühle. Blumenstöcke standen auf Nähtischchen, die Wände waren mit Landschaftsgemälden behängt.
»Es ist so schön!«, rief Rosa freudestrahlend. »So wunderschön! Ich … ich will hier mehr Zeit verbringen als dann und wann ein Wochenende. Ich würde so gerne immer hier leben!«
Albert zog verwundert die Braue hoch und gab zu bedenken, dass hier vieles verwahrlost war, allen voran der Garten, wo mehr Unkraut als Blühendes wuchs. »Aber unser Stadthaus ist um vieles eleganter.«
»Aber man kann hier alles herrichten lassen, oder nicht? Wir haben doch genug Geld!«
»Mein Vater wollte nie hier leben.«
»Aber nun triffst du die Entscheidungen, nicht wahr?«
»Nun, wir könnten fürs Erste zumindest den Sommer hier verbringen.«
In der Familie stieß diese Idee auf wenig Begeisterung. Adele zog sich immer wieder für einige Tage ins Landhaus zurück, da sie davon überzeugt war, dass ihr das Klima guttun könnte, Antonie dagegen murmelte, dass sie nicht vorhabe, auf dem Land zu versauern. Carl-Theodor erzählte, dass sie als Knaben glückliche Stunden dort erlebt und mehr Freiheiten genossen hatten als in der Stadt, wandte jedoch ein, dass Albert dann täglich eine weite Strecke zur Bank zurücklegen müsse.
»Allerdings ist es nicht meine Sache, dies zu entscheiden«, schloss er. »Ich werde ohnehin bald auf Reisen gehen. Ich denke nur, dass du mehr Zeit mit deiner jungen Frau verbringen willst, als andauernd in der Kutsche zu sitzen.«
»Aber hier sind wir den grünen Wäldern so nahe!«, rief Rosa.
»Wenn sie doch hier glücklich ist …«, meinte Albert.
So kam es, dass wenige Wochen nach Rosas Ankunft in Frankfurt der Haushalt in den Taunus übersiedelte. Die Dienstboten schwärmten in den ersten Tagen wie fleißige Bienen durch das Haus. Von außen wirkte es noch lange etwas heruntergekommen, aber drinnen erstrahlte es bald in altem Glanz. Wände wurden neu tapeziert oder gestrichen, alte Türen ausgetauscht, neue Teppiche verlegt. Die Böden wurden gewienert, die Vorhänge gewaschen, die Fenster geputzt, die Betten frisch bezogen. Manches Mobiliar wurde aus dem Stadthaus hertransportiert, anderes neu gekauft.
Rosa war die vornehme Einrichtung herzlich egal. Die frische Luft beglückte sie mehr als eine kunstvolle Vitrine mit Intarsien aus Elfenbein. Doch als sie eines Tages von einem Ausflug zurückkehrte, erwartete sie eine große Überraschung.
Im Salon war eine neue Tapete angebracht worden, und diese zeigte nicht wie alle anderen ein gleichförmiges
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