Die Rosen von Montevideo
traf ihn tief und rührte an einem Schmerz, der älter war als seine Ehe – der Schmerz, zwischen Eltern zu stehen, die auch nicht füreinander geschaffen waren und sich aneinander aufrieben: Der rational denkende Vater war an Adeles Seite immer strenger und härter geworden, die sensible Mutter an dessen Seite immer kränklicher und lethargischer.
Albert blieb stehen. Den Schmerz plötzlich deuten zu können, hieß nicht, ihn ertragen zu können. Und wie der Schmerz wuchs der Wunsch, etwas kaputt zu schlagen, gleichwohl er, während er sich danach umsah, begriff, dass eine zerbrochene Vase seinen Zorn nicht abkühlen würde. Er atmete tief durch – dann ließ er Fabien Ledoux zu sich kommen.
Er hatte damit gerechnet, dass er sich in Gegenwart eines anderen, und sei es der Nebenbuhler selbst, fassen konnte. Stattdessen fühlte er Zorn und Ohnmacht nur noch mehr wachsen. Er hatte diesen Fabien bislang kaum je angesehen, doch jetzt ging ihm auf: Er war ein schöner Mann, dessen etwas arrogante Züge an Antonie erinnerten … und nicht nur an diese.
Bildete er es sich nur ein, oder sah Valeria ihm tatsächlich ähnlich? Ähnlicher als ihm selbst?
Der Zweifel traf ihn wie ein Schlag.
Nein, unmöglich, dass Rosa ihn so lange betrogen hat – ein letztes Fünkchen Nüchternheit hielt dem schrecklichen Verdacht, es könnte anders sein, stand, aber ansonsten verlor er endgültig die Beherrschung.
»Ich will, dass Sie mein Haus verlassen und nicht wiederkommen«, brüllte er.
Fabien wirkte nicht im mindesten schuldbewusst, sondern zog nur die rechte Braue hoch.
»Und wagen Sie es nicht, meiner Frau jemals wieder nahe zu kommen!«, schrie Albert, ehe der andere etwas sagen konnte.
»Ich gebe ihr doch nur Unterricht …«
Erst jetzt fiel Albert auf, dass Fabien Ledoux mit starkem französischen Akzent sprach, so wie Rosa nach all den Jahren immer noch mit spanischem. Die beiden hatten also etwas gemeinsam: Sie waren hier Fremde, die sich nach ihrer Heimat sehnten. Hatten er selbst und Rosa auch etwas gemein?
»Fortan wird sie einen anderen Lehrer haben«, verkündete er streng.
»Weiß Rosa davon?«, fragte Ledoux gedehnt.
Er wagte es doch tatsächlich, ihren Namen in den Mund zu nehmen! Albert stürzte auf Fabien Ledoux zu, packte ihn am Kragen und schüttelte ihn. »Ich habe Sie beide gesehen.«
Fabien kniff den Mund zusammen und wirkte, als wollte er sagen: Na und?
Er war entweder skrupellos, naiv oder bösartig. Und er selbst war ein Narr, den anderen nicht loszulassen, obwohl sich der nicht wehrte. Albert hatte sich noch nie mit jemandem geprügelt, nicht einmal mit Carl-Theodor, als sie noch Kinder gewesen waren. Er hatte überhaupt nur selten seinen Gefühlen freien Lauf gelassen – genau genommen nur einmal, als er Rosa völlig überstürzt geheiratet hatte. Er wusste nicht, ob das der größte Fehler seines Leben gewesen war – oder dass er hinterher nichts gegen ihre Entfremdung unternommen hatte. So oder so – der andere hatte kein Recht, ihn so herausfordernd anzustarren. Kein Recht auch, trotzig zu verkünden: »Wenn Rosa nicht mehr unterrichtet werden will, soll sie es mir selbst sagen.«
Alberts Griff hatte sich etwas gelöst, und prompt befreite Fabien sich und wollte schon gehen.
»Bleiben Sie!«
»Ich dachte, ich soll Ihr Haus verlassen?«
Spottete er etwa über ihn?
»Ich werde nicht zulassen, dass Sie meine Ehre beschmutzen!«
»Soso. Ich dachte, es geht um Ihre Frau – nicht um die Ehre.«
Albert fühlte sich bloßgestellt – nicht zuletzt, weil er ihm insgeheim recht geben musste. Nie hatte er jene Männer verstanden, die ihre Frauen als ihren Besitz ansahen, den es mit Leib und Seele zu verteidigen galt. Für ihn war Rosa mehr gewesen – die erste große Liebe in seinem Leben, die Frau, die aus ihm kurzfristig einen anderen gemacht hatte und die er so gerne mit Glück hatte überhäufen wollen. Es war ihm nicht gelungen. Wahrscheinlich war er seinem Vater ähnlicher, als er sich jemals eingestehen wollte – wobei sich Albert Gothmann senior wohl nie von einem einfachen Klavierlehrer in die Enge hätte treiben lassen.
»Also, was wollen Sie von mir?«, fragte Fabien Ledoux.
Albert wusste, er beging einen schweren Fehler, doch die Worte brachen förmlich aus ihm heraus, und als sie ausgesprochen waren, Fabien erblasste, aber zugleich noch arroganter den Mund zusammenkniff, war es unmöglich, sie zurückzunehmen.
10. Kapitel
R osa wusste nicht genau, was sie
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