Die Rosen von Montevideo
nicht schlafen ließ. Bald war es Mitternacht, aber sie fand keine Ruhe. Eigentlich lag ein gewöhnlicher Tag hinter ihr, der aufwühlende Vorkommnisse entbehrte. Nun gut, Albert hatte beim gemeinsamen Abendessen etwas angespannt gewirkt, doch das tat er oft. Ob es nun mit der Politik im Allgemeinen oder der Bank im Besonderen zu tun hatte – es gab immer etwas, das ihm Kopfzerbrechen verursachte, und Rosa hatte sich längst abgewöhnt, danach zu fragen. Sie verstand ja doch nichts von diesen Dingen, und nach solchen Gesprächen war er ihr noch fremder als sonst.
Sie wälzte sich unruhig hin und her, erhob sich schließlich und warf den Morgenmantel über. Auf Zehenspitzen schlich sie über den Gang zum Kinderzimmer. Claire und Valeria lagen dort eigentlich in zwei Bettchen, doch immer wieder – so auch heute – kam es vor, dass sich ein Mädchen zum anderen legte. Sie schliefen beide aneinandergekuschelt, zwei Engeln gleichend, friedlich und entspannt.
Es war ein Anblick, der Rosa rührte und ihr zugleich weh tat. So inniglich, wie sich die Kinder im Schlaf aneinanderklammerten, hatte sie ihre Tochter selten liebkost. Eine Weile blieb sie stehen und betrachtete die Kinder, ehe sie sich seufzend abwandte. Den beiden ging es gut, davon konnte ihre Unruhe nicht rühren.
»Frau Gothmann?«
Sie ging soeben zurück, als die Stimme sie traf. Wie so oft fühlte sie sich nicht angesprochen, denn in Uruguay behielten die Frauen die Namen ihrer Eltern. Erst als sie jemanden schnellen Schrittes kommen hörte, drehte sie sich um. Else lief auf sie zu.
»Du bist noch wach? So spät? Es ist doch …«
»Frau Gothmann, wissen Sie, wo Ihr Mann ist?«, unterbrach Else sie aufgeregt.
Rosa war verwirrt. Sie kannte keine Standesdünkel wie Antonie, aber ob sie die Nächte mit Albert verbrachte oder nicht, war doch Privatsache der Herrschaften und wollte sie nicht von der Dienerschaft beredet wissen.
»Wahrscheinlich schläft er längst.«
»Wenn es so wäre!«, stieß Else aus.
»Was meinst du?«
Die nächsten Worte waren so wirr, dass Rosa sie erst nicht verstand, doch nach einer Weile bekam sie es mit der Furcht zu tun. Von Fabien war die Rede, von einem Streit und wüsten Vorwürfen, von Eifersucht und schließlich …
»Gott, was redest du da?«, herrschte Rosa das Mädchen an. Erst jetzt sah sie, dass Else vor Aufregung zitterte.
»Herr Gothmann glaubt, er müsse seine Ehre wiederherstellen. Das hat mir Franz erzählt – Sie wissen, wer das ist …«
»Gewiss. Einer der Reitknechte.«
»Und obendrein zuständig für die Wartung der Jagdwaffen!«, rief Else.
Rosa wurde eiskalt. Die Ehre wiederherstellen … Dergleichen war ihr nicht fremd. In Montevideo gab es Fehden, die über Generationen Familien entzweiten, immer wieder zu neuen Ausbrüchen von Gewalt führten und später nicht minder grausam gerächt wurden. Aber hier in Alberts zivilisierter Welt?
Sie packte Else an den Schultern. »Was ist passiert?«
»Franz hat angedeutet, dass sie sich zu Mitternacht treffen. Und darum wollte ich wissen, ob Herr Gothmann schon das Haus verlassen hat.«
»Um diese Zeit?«
»Nun, eigentlich ist es verboten …«
»Zum Teufel, was denn?«
Else seufzte. »Ein Duell«, verkündete sie düster. »Herr Gothmann hat von Fabien Satisfaktion verlangt …«
Rosa stürzte noch im Schlafrock die Treppe hinunter. An deren Ende wartete Espe, die entweder instinktiv geahnt hatte, dass ihr Schützling in Aufregung war, oder von den Stimmen geweckt worden war. Sie stellte keine Fragen, doch als sich Rosa an ihr vorbeidrängte und zur Tür stürzte, hielt sie sie fest. »Du hast keine Schuhe an.«
Rosa starrte verwirrt auf ihre nackten Füße.
»Sie haben den Verstand verloren!«, rief sie panisch. »Sie wollen sich doch tatsächlich duellieren!« Sie brach in Tränen aus. »Ich muss es unbedingt verhindern.«
Trotz der Entschlossenheit konnte sie keinen weiteren Schritt machen – als wären ihre nackten Füße, nun, da sie nicht mehr darüber hinwegsehen konnte, ein unüberwindbares Hindernis. Espe erwiderte nichts, sondern holte rasch ein Paar Schuhe und einen warmen Mantel, und Else half Rosa hinein.
»Weißt du, wo sie sind?«
»Irgendwo am Waldrand. Johann, sein Leibdiener, begleitet Herrn Gothmann – wen Fabien bei sich hat, weiß ich nicht.«
Sie verließen das Haus, der Garten lag in völliger Stille und Dunkelheit vor ihnen. Die Dienstboten schliefen längst in ihrem eigenen Trakt, und auch im
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