Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin
klang tief und warm. Es war jung und vital, stark und selbstsicher.
Er ist frei, dachte Beatrice, hier draußen ist er ganz einfach frei, und das macht einen anderen Menschen aus ihm.
Sie liebten sich im hellen Sand der Bucht, und das Bewußtsein der Gefahr, in der sie schwebten, und der kurzen Zeit, die ihnen blieb, ließ sie noch gieriger werden, noch sehnsüchtiger und hingebungsvoller. Die Romantik ihrer Begegnung blieb immer gleich, weil ihre Situation immer gleich blieb. Sie waren stets in Gefahr, und ihre Zukunft war immer ungewiß.
Sie lagen nebeneinander und hielten sich an den Händen, und Julien sprach auf französisch von der Zeit nach dem Krieg. Wenn er sich gut fühlte, gab es Momente, in denen er glaubte, der Schrecken werde vorübergehen, und es werde nicht mehr lange dauern, bis alles vorbei war. Jetzt war ein solcher Moment. Er lag unter freiem Himmel am Meer, er sah Sterne und Wolken über sich, und er hatte ein Mädchen geliebt, dessen Hand er noch immer in der seinen hielt. Er war ein junger Mann wie tausend andere Männer.
»Ich werde viel Geld verdienen, wenn der Schlamassel vorbei ist«, sagte er. Es war auf jeden Fall positiv, daß er von »Schlamassel« sprach, statt von »Terror«, »Schrecken«, oder »Weltende«. »Schlamassel« war ein bewußt gewählter, harmloser Begriff für das Unheil, das über sie alle hereingebrochen war. »Ich weiß noch nicht genau, wie, aber du sollst sehen, ich werde ein reicher Mann. «
Beatrice setzte sich auf und kramte in der Tasche ihres Kleides. Sie hatte heimlich ein Stück von der Schokolade, die Erich mitgebracht hatte, an sich genommen. Sie brach einen Riegel ab und reichte ihn Julien.
»Hier, möchtest du?«
Er setzte sich ebenfalls auf. Der Mond tauchte gerade wieder hervor, und in seinem Licht sah Julien gespenstisch fahl aus. Beatrice wußte, daß das nicht nur am Mond lag: Auch bei Tag war Julien von wächserner Blässe. Er war nicht mehr der kräftige, braungebrannte Kerl, als der er auf die Insel gekommen war. Er war nur noch ein Schatten seiner selbst.
»Schokolade? Woher hast du die denn?« Er schob den ganzen Riegel auf einmal genießerisch in den Mund. »Ich wußte fast nicht mehr, wie so etwas schmeckt.«
»Erich ist heute aus Frankreich zurückgekommen. Er hat eine Menge herrlicher Dinge mitgebracht. « Sie sah ihm zu, wie er kaute und sich die Lippen leckte. Sie schob ihm das nächste Stück in den Mund.
»Wenn du an die Zeit nach dem Krieg denkst«, sagte sie, »komme ich da in deinen Plänen auch vor?«
Er warf ihr einen erstaunten Blick zu. »Natürlich. Warum nicht?«
»Du hast nie etwas gesagt.«
»Wann reden wir schon über die Zeit danach? Es hat so wenig Sinn, sich den Kopf darüber zu zerbrechen.«
»Du sprichst von dem Geld, das du verdienen willst,« sagte Beatrice vorsichtig, »aber nicht von mir.«
»Leg doch nicht jedes Wort auf die Goldwaage. Jetzt habe ich vom Geld gesprochen. Ein anderes Mal spreche ich von dir.« Er stand auf, plötzlich unruhig geworden. »Weißt du was? Ich möchte im Meer schwimmen. Ich möchte das Salz auf meinen Lippen schmecken und das Wasser auf meiner Haut fühlen.«
Sie haßte ihre Gouvernantenrolle, aber sie mußte sie schon wieder spielen. »Tu es nicht, Julien. Es ist zu gefährlich. Du bist weithin sichtbar im Wasser. Von einem Schiff aus könnten sie dich sehen, oder oben von den Klippen.«
»Die Nacht ist viel zu dunkel.« Er wippte ungeduldig auf den Zehen. »Außerdem ist hier niemand.«
Wie eine Warnung zeigte sich der Mond erneut und warf sein bleiches Licht zur Erde.
»So dunkel ist die Nacht nicht«, sagte Beatrice nervös, »die Wolken ziehen zu schnell, der Mond verschwindet nie lange. Bitte, Julien. Was wir hier tun, ist gefährlich genug, aber wir sind durch die Felsen einigermaßen geschützt. Da draußen schützt dich nichts. «
»Es ist die letzte Nacht dieses Sommers.» Es gab keinen Anhaltspunkt dafür, daß es so war, aber Julien schien sicher zu sein. »Und ich weiß sowieso nicht, wann ich wieder hinaus kann. Ich werde jetzt schwimmen.«
Sie sah ihm nach, wie er über den Strand zum Wasser lief. Sein hochgewachsener nackter Körper war im Mondlicht von silbriger
Farbe. Er bewegte sich leicht und geschmeidig; sie konnte es förmlich spüren, wie sehr er die Berührung mit der Luft, mit dem Sand genoß, wie sehr ihn das Laufen beglückte, das Spiel seiner Muskeln.
Wie schön er ist, dachte Beatrice, und wie rücksichtslos. Sie kam sich
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