Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin
genau konntest du das nicht wissen. Es hätte sich gelohnt, einmal einen Versuch zu machen.«
»Du hast recht. Es war ... es paßte irgendwie nicht ... «
Sie begriff, was er eigentlich sagen wollte: Sie hatte keinen Platz mehr gehabt in seinem Leben. Sie hatte nicht mehr hineingepaßt. Sie hatte zu einer anderen Epoche gehört, und er war nicht gewillt gewesen, sie in sein neues Leben zu integrieren. Es hätte bedeutet, die Bestandteile zu vermischen, und offensichtlich hatte er eine klare Trennung haben wollen.
Aber er hat Victor Hugo gelesen, dachte sie, und es war fast kindliches Frohlocken in ihr, er hat ihn gelesen und an uns gedacht. Er ist mich nie ganz losgeworden. Es war keine Fremdheit zwischen ihnen, obwohl sie einander fast ein halbes Jahrhundert lang nicht gesehen hatten. Sie saßen so friedlich nebeneinander in der Sonne wie ein altes Ehepaar, das zusammen schweigen kann, weil es sich ohne Worte versteht. Sie hätten voreinander ausbreiten können, was alles geschehen war im Laufe der vielen Jahre und
Jahrzehnte, aber keiner von ihnen hatte das Bedürfnis. Sie hatten einander einige Fakten mitgeteilt, aber im wesentlichen hatten sie geschwiegen. Nun fragte Julien: »Lebt sie noch? Du weißt schon, die Witwe Feldmanns. Nach dem Krieg ist sie doch in deinem Haus geblieben.«
Beatrice war überrascht; Helenes Tod war seit zwei Wochen das Gesprächsthema auf der Insel, und für einen Moment irritierte es sie, einem Menschen gegenüberzusitzen, der sich arglos nach ihr erkundigte. Aber dann fiel ihr ein, was Julien gesagt hatte: Erst an diesem Morgen war er aus der Bretagne herübergekommen.
»Helene ist tot«, sagte sie, »sie wurde vor zwei Wochen ermordet. Wir fanden sie auf dem Weg gleich hinter unserem Haus. Man hat ihr die Kehle durchgeschnitten.«
Während sie das sagte, wurde ihr beinahe schlecht. Es klang so ungeheuerlich, so entsetzlich. Es hätte heißen müssen: Sie ist gestorben. Sanft entschlafen . Oder: Sie war sehr krank. Endlich wurde sie erlöst . Das war es, was man im allgemeinen über verstorbene ältere Damen sagte. Man sagte nicht: Jemand hat ihr die Kehle durchgeschnitten.
O Gott, dachte sie.
»O Gott«, sagte Julien fassungslos. »Das gibt es doch nicht! Wer hat das denn getan? «
»Sie haben den Täter noch nicht. Die Polizei tappt völlig im dunkeln.«
Julien sah geschockt aus und wußte für einige Minuten überhaupt nichts mehr zu sagen. Stumm zog er an seiner Zigarre. Beatrice zündete sich eine Zigarette an und überlegte, ob sie zwei Schnäpse bestellen sollte. Ihr Blick ging zum Ufer hin, und sie sah Franca und Alan, die gerade vorbeikamen.
Sie sprang auf und winkte. »Alan! Franca! Kommt doch mal her! «
Beide schauten sich erstaunt um, entdeckten dann aber, woher der Ruf kam. Zwei Minuten später standen sie auf der Terrasse.
»Mein Sohn Alan«, stellte Beatrice vor, »Alan, das ist Julien. Ein alter Freund.«
Die beiden Männer reichten einander die Hände. Julien lächelte Alan sehr offen an, Alan wirkte eher verhalten.
Vater und Sohn, dachte Franca fasziniert, und beide haben keine Ahnung.
Beatrice stellte auch sie vor, und Julien begrüßte sie liebenswürdig. Er mußte, stellte Franca fest, ein ungeheuer gutaussehender Mann gewesen sein mit einer phänomenalen Wirkung auf Frauen. Selbst dem alten Mann war das noch deutlich anzusehen.
Welch ein schöner Mensch, dachte sie, und wie schwierig für eine Frau, mit ihm zusammenzusein.
»Mum, wir fahren nach Hause«, sagte Alan, »möchtest du mit uns kommen? Auf Mae kannst du nicht mehr zählen, die ist schon zornig abgerauscht, nachdem du sie eine Ewigkeit lang allein im Restaurant hast sitzen lassen.«
»Fahrt ihr nur«, sagte Beatrice, »ich möchte hier noch eine Weile bei Julien bleiben und mit ihm über die alten Zeiten plaudern. Ich komme dann mit dem Bus. «
»Oder ich fahre dich«, bot Julien an, »ich habe mir sowieso einen Leihwagen genommen.« Er wandte sich an Alan. »Ich bin heute erst von Frankreich herübergekommen.«
»Aha«, sagte Alan. Irgend etwas schien ihn an Julien zu stören, aber Franca vermochte nicht auszumachen, was es war. »Wenn Sie meine Mutter nach Hause bringen, wäre das natürlich sehr freundlich von Ihnen.«
»Das ist doch selbstverständlich«, meinte Julien.
Er blieb stehen, bis Franca und Alan die Terrasse verlassen hatten.
»Du hast mir nicht gesagt, daß du einen Sohn hast«, sagte er zu Beatrice.
»Ich habe dir sehr vieles nicht gesagt«, erwiderte
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