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Die rote Farbe des Schnees

Die rote Farbe des Schnees

Titel: Die rote Farbe des Schnees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Holmy
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der Treppe angelangt, drückt sich Joan an
ihm vorbei und leuchtet den Raum aus. Dieser ist viel kleiner, als sie annahm.
An einer der Wände wurden Moos und Laub zu einem weichen Nest angehäuft. Doch
von den Dachsen, die gewöhnlich des Nachts jagen, fehlt jede Spur. Sie eilt zur
morschen Holztür. Diese hängt nur noch an einer Angel und schlägt vollends zu
Boden, als Joan sie herum reißt. Sie betritt den niedrigen Gewölbegang. Malcom
folgt ihr stehenden Fußes. Keuchend eilen sie durch die beißend stinkenden
Ausscheidungen der Fledermäuse, in denen auch die Dachsabdrücke nicht fehlen.
    Joan gelangt am Ausgang an und
wendet sich nach Malcom um. „Ich gehe zuerst durch und ziehe ihn raus.“
    Malcom nickt. „Lass die Fackel
hier, man kann sie draußen im Dunkeln meilenweit sehen.“
    Sie wirft die Fackel hinter ihm
in den Gang und zwängt sich ins Freie. Dort ist alles ruhig. Die Pferde sind
aus ihrer Deckung hervor gekommen und schlafen mit hängenden Köpfen. Joan
tastet im Loch nach ihrem Vater umher, bekommt dessen große ausgezehrte Hände
zu fassen und zieht ihn an diesen heraus. Sie kann kaum fassen, wie leicht er
ist. Verbissen kämpft sie die aufkommenden Tränen herunter.
    „Vater“, fragt sie leise, wobei
sie sich neben ihn auf die Erde der steilen Böschung setzt und seine Hand
nimmt.
    Er wendet den Blick vom
Sternenhimmel ab und sieht sie an.
    „Du musst es schaffen. Ich will
dich nicht noch einmal verlieren.“ Sie spürt, wie er ihre Hand schwach drückt.
    Malcom hinter ihnen zwängt sich
ächzend aus dem Erdloch ins Freie. Neben Raymond angelangt dreht er sich auf
den Rücken, um kurz zu verschnaufen. Tief saugt er die frische Nachtluft in
seine Lungen und kann den Blick nicht vom Sternenhimmel lösen. „Was für ein
Himmel!“

Flucht mit
Raymond
    Sie reiten
in schnellem Galopp auf der alten Römerstraße durch die Nacht. Joans verformter
Gaul hat zu ihrer Erleichterung keine Schwierigkeiten, das hohe Tempo
mitzuhalten. Besorgt blickt sie schräg nach vorn zu ihrem Vater, der an Malcoms
Brust gelehnt halb auf Brix liegt. Sie fürchtet, es könne für ihn zu
anstrengend sein oder dass er von der Kälte erkrankt. Er hat dieser vor
Schwäche kaum etwas entgegenzusetzen. Doch sie haben keine Wahl. Wenn sie jetzt
anhalten, um zu rasten, könnten sie schnell wieder in feindliche Hände geraten.
Sie wissen nicht, ob sie verfolgt werden. Und noch haben sie keinen englischen
Boden unter den Füßen.
    Doch dann, im Morgengrauen, als
die Sonne glutrot zu ihrer Linken aufgeht, haben sie den Tweed schon längst
überquert. Dieser markiert etwas weiter östlich von ihnen die Grenze zu ihrer
Heimat und Joan ist sich nun sicher, wieder in englischen Gefielden zu sein.
    In
gemächlicherem Tempo verlassen sie nun die Römerstraße und reiten streng nach
Westen, wie Joan die Sonne in ihrem Rücken verrät. Sie glaubt, dass es nicht
mehr weit bis zu Malcoms Familienstammsitz sein kann. Ihr Blick schweift über
die hügelige, ländliche Gegend der Cheviot Hills, welche von Hochmooren geprägt
scheint und sich nur spärlicher Besiedlung erfreut. Die Dörfer und kleinen
Felder der Bauern erstrecken sich insbesondere auf die Niederungen mit ihren
lehmigen Böden. Vermutlich können sie diese nur mit schweren Pflügen
erfolgreich bearbeiten. Auch hier bestellt man ein Drittel des Feldes mit
Sommergetreide, eines mit Wintergetreide und lässt ein Drittel brach liegen,
auf dass es sich erholen kann oder durch weidendes Vieh gedüngt wird. Man ist
wie im restlichen Land ebenfalls dazu übergegangen, auch Gemüse in diesen
Kreislauf aufzunehmen, um den Boden fruchtbarer zu machen. Doch baut man hier
insbesondere durch Genügsamkeit ausgezeichneten Roggen an, der nun kurz vor der
Ernte steht. Überall trifft man auf Schafe. Knapp vor Malcom setzen soeben ein
paar von ihnen eilig über den steinigen Weg. Weiter vorn liegt Wald, auf den
Malcom zuhält. Aus diesem erhebt sich auf einem kahlen, grauen Bergsporn eine
große, herrschaftliche Burg.
    Sie
befinden sich in lichtem Wald, als Malcom plötzlich das Tempo verlangsamt. Zu
ihrer Verwunderung biegt er vom Weg ab und steuert auf einen Bach zu. Vor
diesem angelangt bringt er Brix zum Stehen und blickt sich hilfesuchend nach
Joan um.
    Sie kommt mit fragender Miene
neben ihn.
    „Das Wasser hier hat
Heilkräfte.“
    Joan sieht zum Bach. „Aber es
ist zu kalt, Malcom!“
    Er schüttelt den Kopf. „Es ist
ganz warm.“
    Sie ist überrascht. Feine
Nebelschwaden über dem

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