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Die rote Farbe des Schnees

Die rote Farbe des Schnees

Titel: Die rote Farbe des Schnees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Holmy
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erreichen jedoch nicht mehr den
Waldboden. Sie überqueren einen kleinen Bach. Dann gewahrt Joan plötzlich nur
wenige Steinwurf vor ihnen die Höhle im roten Felsgestein. Rupert zügelt sein
Pferd und starrt vor ihnen auf den Waldboden. Joan bemerkt den süßlichen
Gestank von Verwesung. Teilnahmslos kommt sie neben Rupert und sitzt ab. Fionas
Leichnam kann sie nicht mehr erschrecken. Ihre Röcke sind noch immer über den
Kopf gezogen und lassen den Blick unverschönt auf die entsetzlichen Wunden
frei. Ihr Unterleib gleicht einem von wilden Tieren zerfleischten Kadaver.
Fliegen schwirren auf, als sie sich neben sie kniet. Deren Maden laben sich
bereits in einem dichten Gewimmel, das von einem hörbaren Rauschen begleitet
wird. Es stinkt nun unerträglich.
    „Mein Gott“, raunt Rupert
fassungslos und bekreuzigt sich.
    Joan widersteht dem Versuch,
ihr die Kleider wieder herunter zu ziehen, da ihr davor graut, ihr in die
starren Augen oder in ein schmerzverzerrtes Gesicht zu sehen. So sucht sie nach
einem Grabestock und beginnt, sowohl damit, als auch mit bloßen Händen ein Loch
auszuheben. Stille Tränen der Trauer rinnen ihr die Wangen herab und tropfen
auf den wachsenden Hügel ausgehobener Walderde.
    Rupert kommt zu sich und sitzt
ab. Er kniet sich neben Joan, um ihr behilflich zu sein. Sie fährt sich leise
schluchzend mit dem Handrücken über die Stirn.
    „Verdammter Hurensohn“, murmelt
er. „Joan, sie hat nicht lange gelitten. Solche Verletzungen bescheren einen
schnellen Tod.“
    Sie weiß, dass er recht hat.
Schweigend graben sie ein geräumiges Loch. Sie ist todtraurig und kann das
Weinen nicht abstellen. Es ist ihr vor Rupert egal. Und gerade, weil sie die
Einzige ist, die Fiona eine Träne nachweint.
    „Scht, Joan!“
    Sie blickt zu ihm herüber. Er
hat einen Finger über den Mund gelegt und sieht angespannt zum Leichnam in
ihrem Rücken.
    Dann hört sie es auch und fährt
herum. Ein kaum vernehmbares Wimmern lässt sie erschaudern. Als sich Fionas
Röcke ganz leicht bewegen, kriecht Joan unter einem erstickten Schreckensschrei
in Windeseile rückwärts von ihr fort. Sie stürzt rücklings ins Erdloch, kommt
hastig auf die Beine und klettert fahrig auf der anderen Seite wieder heraus.
Rupert hat sich mit aschfahlem Gesicht erhoben und reicht ihr die Hand. Sie
ergreift diese, damit er sie auf die wackeligen Beine ziehen kann. Gebannt
starren sie beide zur Leiche hinüber. Das Wimmern ist verklungen. Rupert fasst
sich ein Herz, springt über die Grube und greift sich einen längeren Stock.
Joan kommt neben ihn. Mit zwiespältigen Gefühlen beobachtet sie, wie er die
Röcke mit dem Stock von ihrem Gesicht zurückschlägt. Ihr fällt vor Überraschung
die Kinnlade herunter.
    „Bei allen Heiligen“, ruft
Rupert entsetzt.
    Joan blickt erschüttert auf den
kleinen Säugling neben seiner toten Mutter herab. Ein Auge ist eingefallen und
wimmelt vor Maden. Eine Wunde zieht sich quer darüber bis hinab zur Wange. Sie
ist nicht tief und die Maden haben sie säuberlich freigelegt. Überall im
Gesicht hängen feine weiße Fliegeneier. Das Kind wimmert erneut, wischt sich
mit den Händchen schwach über die krabbelnden Maden und öffnet das gesunde
Auge.
    Rupert bückt sich nach einem großen
Stein und holt Schwung, um den Säugling zu erlösen. Es lässt Joan aus ihrer
Starre erwachen. Aufschreiend fällt sie ihm in die Hand. „Nein!“ Sie entwendet
ihm den Stein und wirft diesen weg. „Nein Rupert. Es ist ein Geschöpf Gottes.
... Wegen ihm sind wir hier, wie ich nun weiß.“
    Er schüttelt nur verständnislos
den Kopf, als Joan um die Leiche herumkommt und das Kind auf den Arm nimmt.
    „Du wirst es niemals
durchkriegen. Es ist viel zu schwach.“
    Joan schüttelt den Kopf. „Ich
werde es versuchen. Das bin ich seiner Mutter schuldig. Ohne sie wäre ich nicht
mehr am Leben.“
    Er nickt. „Also gut. Ich werde
sie begraben. Kümmere du dich um diese bemitleidenswerte Kreatur. Ich hoffe, du
tust das Richtige.“
    Joan wirft ihm einen dankbaren
Blick zu.
    Er stöhnt. „Was für ein
Alptraum. ... Ein verflucht hoher Preis für einen verbotenen Kuss, findest du
nicht auch?“
    Sie grinsen sich an.
    Joan tritt an ihn heran, stellt
sich auf die Zehenspitzen und drückt ihm wortlos einen Kuss auf die Wange. Er
streicht sich daraufhin verlegen über den kurzen Bart.
    „Ich danke dir, Rupert.“
    „Na ja. Wenigstens zwei Küsse“,
brummt er.
    Sie lächelt. „Ich gehe zum Bach
hinüber.“
    Rupert nickt.

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