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Die rote Farbe des Schnees

Die rote Farbe des Schnees

Titel: Die rote Farbe des Schnees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Holmy
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„Lass die Maden
im Auge. Sie fressen es sauber.“
    Sie reißt überrascht die Augen
auf. „Bist du sicher?“
    „Ja. Hab’ es schließlich schon
oft genug bei anderen erlebt. ... Und taufe den Wurm vorsichtshalber. Das ist
im Notfall erlaubt.“
    Sie atmet
durch und wendet sich in der hereinbrechenden Dunkelheit zum Bach um.
    Es ist früh
am Morgen. Sie haben eine Rast eingelegt. Nach der schlaflosen, erbärmlich
kalten Nacht in der Höhle döst Rupert wohlig neben ihr auf einem umgekippten
Baumstamm in den ersten Sonnenstrahlen, die den Nebel durchbrochen haben. Laute
Rufe von einem Vogelschwarm erschallen über ihnen, was Joan nach oben auf die
keilförmige Anordnung der erhaben dahinfliegenden, großen Tiere blicken lässt.
    „Kraniche. Ein gutes Omen. Sie
verheißen Glück.“ Zudem fliegen die majestätischen Vögel relativ hoch, was
gutes Wetter verheißt. Joan wechselt das Kind an ihre noch pralle Brust, an der
es weiter begierig saugt. Scheinbar ist sein Hunger unstillbar.
    „Bin schon auf Malcoms Gesicht
gespannt, wenn er die Kleine erblickt“, frohlockt Rupert schadenfroh. Offenbar
ist ihm bekannt, wie unverhofft Malcom zu seinem Sohn kam. Joan runzelt die
Stirn.
    „Es ist ein Knabe“, verbessert
sie, worauf er sich verblüfft gibt.
    „Hab’ noch nie einen so zarten
Burschen gesehen.“
    Joan nickt zustimmend. „Er ist
abgemagert.“ Doch nicht nur das. Besonders das feingeschnittene Gesichtchen
hatte sie nicht an einem Mädchen zweifeln lassen, bis sie überraschend beim Bad
im kalten Bachwasser eines Besseren belehrt wurde. Ohne die entstellende
Verletzung des Auges und der Wange wäre er ein ungewöhnlich hübscher Knabe. Das
Erbe seines Vaters. Sie streicht ihm versonnen durch den blonden Flaum, der
noch durch die Kopfbinde hindurchlugt.
    „Er ist Malcoms Neffe“, teilt
sie Rupert wie beiläufig mit.
    Dieser hebt den Kopf an, um sie
besser mustern zu können. „Du beliebst zu scherzen!“
    „Nein. Er ist Ulmans
unehelicher Sohn.“
    Er fährt hoch. „Ulman? ...
Dieser Leander?“
    Sie nickt. „Du hast schon einen
kräftigen Zug, mein Kleiner“, meint sie an den Säugling gewandt und streichelt
dessen Rücken. „Vergiss ganz schnell, was du erlebt hast.“
    Rupert ist für eine Weile
sprachlos. Dann räuspert er sich. „Wer weiß, wofür es noch gut ist.“
    „Ich habe ihn auf den Namen
Leander getauft“, bemerkt sie und wickelt das nunmehr schlummernde Kind in
ihren warmen Wollmantel.
    Rupert beobachtet sie. „Du
willst ihn annehmen“, stellt er ernüchtert fest.
    Sie nickt. „Anstelle Roberts
Zwilling, den ich verlor.“
    Rupert atmet laut durch. „Wie
gesagt, ich bin auf Malcoms Gesicht gespannt.“
    Joan drückt ihm das Bündel in
den Arm, um sich auf ihren Schimmel zu schwingen. Umständlich reicht er ihr
Leander hoch. „Dann lass es uns schnell in Erfahrung bringen“, lacht sie und
treibt ihr Pferd an, wodurch Leander in ihrem Arm grob geschaukelt wird. Es
kann seinen tiefen Schlaf jedoch nicht erschüttern.
    Noch bevor die Sonne im Mittag
steht, erreichen sie Farwick Castle. Zu ihrem Erstaunen ist die Zugbrücke oben.
Erst auf ihr mehrmaliges Rufen hin wird sie herunter gelassen.
    „Ihr scheißt euch noch vor
eurer Herrin in die Bruech, was“, zieht Rupert die Wachmänner auf, als sie
polternd über die Brücke einreiten.
    Einer der beiden schüttelt nur
matt den Kopf. „Wenn du wüsstest, was hier los war. ... Diese verfluchten
Dreckskerle haben Eure Gastfreundschaft schmählich verraten, Mylady.“
    Joan zügelt beunruhigt das
Pferd. „Was willst du damit sagen?“
    „Sie drangen gestern in der
Geschäftigkeit der Aufbruchstimmung des Lords in aller Seelenruhe in den Kerker
ein und ermordeten diese beiden verdammten Verräter“, bekundet der Mann, was
Joan bestürzte Blicke mit Rupert wechseln lässt.
    „Sie entwischten, noch bevor
wir irgendetwas bemerkten.“
    Joan fährt sich nervös über die
Stirn. „Weiß Malcom davon?“
    „Gerold hat ihm einen Boten
hinterher geschickt“, antwortet der Wachmann.
    Joan nickt und spornt ihren
Schimmel an. Als sie durchs Felsentor preschen, werden sie schon von Raymond,
Blanche und Gerold im Hof erwartet. Rupert sitzt ab. Er nimmt Leander von Joan
entgegen, damit auch sie vom Pferd gleiten kann.
    Raymond drängt sich neben ihn
und starrt auf das Bündel in seinen Armen herab. „Sag, dass das nicht wahr
ist“, bemerkt er tonlos und betrachtet Joan finster, so dass sie sich verlegen
über die Nase reibt.
    „Es ist

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