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Die rote Farbe des Schnees

Die rote Farbe des Schnees

Titel: Die rote Farbe des Schnees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Holmy
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über seine
unmissverständliche Warnung und blitzt ihn durchdringend an, bevor sie ihm
gekränkt wieder den Rücken zukehrt.
    Robert auf
ihren Armen ist eingeschlafen. Sie legt ihn behutsam aufs Bett und deckt ihn
lächelnd zu. Er bietet einen friedlichen Anblick, etwas Seltenes bei ihrem
quirligen Sohn. Es trügt über seine Wildheit hinweg, welche er für gewöhnlich
an den Tag legt.
    Jemand klopft an die Tür und
sie geht leise hinüber, um zu öffnen. Es ist Agnes, mit Leander auf dem Arm.
Ulman hatte den Vormittag mit ihm verbracht. Der Kleine ist erschöpft
eingeschlummert.
    Die Amme tritt lächelnd ein.
„Ulman erwartet Euch gerüstet auf dem Hof“, flüstert sie, während sie Leander
in dessen Wiege bettet.
    Joan nickt und öffnet die Truhe
neben dem Bett, welcher sie ihre Beinlinge, Tunika und Gambeson entnimmt.
Geschwind entledigt sie sich ihres Kleides und zieht sich um.
    Agnes schüttelt wortlos
grinsend den Kopf über sie. „Wenn Ihr weiter so übt, fechtet Ihr bald selbst
seine Lordschaft in Grund und Boden.“
    Joan lächelt. „Jedenfalls wird
es ausreichen, um mich sorglos verteidigen zu können“, raunt sie, wobei sie ihr
Schwert von einem Nagel an der Wand nimmt. Sie gürtet es im Gehen und nickt
Agnes zum Abschied zu. Nicht noch einmal möchte sie Ulman warten lassen. Es ist
ihr zweiter Übungstag. Heute wird er überprüfen, ob sie die gestrigen
Kombinationen im Kopf behalten hat und so lange mit ihr üben, bis sie flüssig
und ohne nachzudenken kommen.
    Er empfängt sie mit einem
Lächeln auf den Lippen, bevor sie sich zur Brücke wenden. Awin steht mit
einigen Mägden am Tor und lässt älteres Brot und andere Küchenreste an die
Bettler verteilen. Damit kommt sie eines jeden Christen Pflicht nach, mit den
Armen zu teilen. Die Wenigsten entsinnen sich ihrer jedoch. Die Sonne scheint,
wie bereits die letzten Tage über, warm vom Himmel herab und beleuchtet
unbarmherzig die jämmerlichen Lumpen der dreckigen Hungergestalten. Viele
weisen zu Joans Überraschung geschwärzte oder bereits abgefallene Finger- oder
Zehenglieder auf, was im Angesicht ihrer schmerzgekrümmten, mitunter auch
gelähmten Leiber nicht auf Erfrierungen hinweist, sondern auf das
Antoniusfeuer, eine Krankheit, welche besonders in Hungersnöten unter den Armen
grassiert. In deren Folge verfaulen Hände und Füße unter unerträglichen Qualen,
bevor sie abfallen. Zumeist endet es mit dem Tode.
    Ein kleines barfüßiges Mädchen
dauert Joan besonders. Immer wieder krümmt es sich und drückt eine Hand gegen
den Bauch. Offensichtlich hat es starkes Bauchweh, ein früher Vorbote des
Heiligen Feuers, wie Joan weiß. Es wird immer wieder von den anderen abgedrängt
und hält leise weinend einen Napf in den kleinen Händen, die trotz der Kälte
nicht gerötet, sondern wie Leichenfinger weißlich erscheinen und sich wohl bald
ebenfalls schwarz färben. Mitleidig ergreift Joan das Gefäß des Kindes und
lässt es füllen. Die Kleine nimmt es mit einem scheuen Lächeln entgegen. Sie
mag nicht mehr als fünf Lenze zählen.
    „Wie ist dein Name“, fragt
Joan.
    Das Kind richtet den Blick auf
seine Füße. Die schwarzen Haare fallen lang und fettig zu beiden Seiten des
ausgezehrten Gesichtes herab.
    „Sie ist stumm“, erklärt ein
zahnloser Alter. Seine Lumpen starren vor Dreck und wimmelndem Ungeziefer.
Letzteres entschlüpft dem wärmenden Stroh seiner Fußlappen in den kalten
Schnee, um postwendend wieder dorthin zurückzukehren, woher es kam.
    Joan und Ulman tauschen
betretene Blicke. Das Mädchen erinnert sie an Fiona.
    „Eine Waise. Ihre Eltern
starben wie so Viele den Hungertod“, erklärt der Alte redselig, während er
genüsslich die kältestarre Fettkruste eines alten Fladenbrotes ableckt, das
wohl einmal als Bratenunterlage an der Tafel diente, um es darauf zutschend mit
seinem Speichel einzuweichen.
    Joan fährt dem Kind mitfühlend
übers Haar. Sie kehren dem traurigen Geschehen schweigend den Rücken und setzen
ihren Weg über den in den Schnee getretenen Trampelpfad der Brücke zum Ufer hin
fort.
    „Ich wusste nichts von einer
Hungersnot“, bemerkt Joan.
    Ulman nickt. „Es war
ungewöhnlich kalt und verregnet. Die Ernte verdarb. ... Bei uns im rauen Norden
jedoch war es nicht derart deutlich zu spüren.“
    „Nein. Die Ernten fielen zwar
spärlicher aus, aber es musste niemand verhungern.“ Sie weiß, wovon sie redet.
Immerhin überwachte sie die Befüllung der Speicher von Farwick Castle und lieh
oft genug den

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