Die rote Farbe des Schnees
Kinder wurden wirklichkeitstreu ebenfalls darauf verewigt.
Nicht nur Joan rührte es zu Tränen, als Amál vor der Stele schluchzend auf die
Knie ging. Timothy und Malcom mussten ihn lange nach der Beisetzung aus der
Krypta hinausstützen. Zurück auf der Burg zog er sich sogleich auf sein Gemach
zurück, wollte wie schon seit vielen Tagen niemanden sehen.
Sie sitzen im engsten
Familienkreis beim Leichenschmaus. Man hatte aus gegebenem Anlaß eines der
grossen Privatgemächer dafür herrichten lassen. Selbst die Kleinsten sind
anwesend, um ihrer Mutter die letzte Ehre zu erweisen. Die Stimmung ist
gedämpft. Amál ließ sich entschuldigen.
Joan unterhält sich mit Miriams
Onkel Adam. Er war einst Geistlicher, der jedoch in Amanda eine größere Liebe
als zu Gott fand. So legte er sein Kirchenamt als Prior eines bekannten
Klosters im Süden des Landes nieder, beging somit Apostasie. Er wurde dafür
wenig später exkommuniziert. Ein befreundeter Priester vermählte ihn jedoch
zuvor noch mit Amanda. Verzweifelt war er daraufhin um eine Aufhebung seiner
Exkommunikation bemüht, als deren Folge ihm unweigerlich die Acht drohte, die
völlige Recht- und Besitzlosigkeit. Er zog mit seinem Anliegen nach Rom zur
Kurie. Niemand Geringerer als der Papst persönlich gewährte ihm schließlich die
Bitte und hob den Kirchenbann auf. So ließ er sich für einen Neuanfang mit
Amanda in Newcastle in Nähe zur väterlichen Burg nieder. Mit annähernd leerem
Geldbeutel stieg er in den Tuchhandel ein, brachte die Gewinne immer wieder
geschickt ins Geschäft ein und gelangte mit der Zeit zu selbstverdientem
Wohlstand. Seine Ehe mit Amanda verlief bisher glücklich, jedoch kinderlos. Sie
nahmen die Kinder seines Bruders ganz selbstverständlich auf, trauern nun um
Miriam wie um eine eigene Tochter. Joan bemerkt, dass Aidan seinem Onkel mit
Aufgeschlossenheit und Vertrauen begegnet. Etwas, das sie im eher förmlichen
Umgang mit seinem Vater vermisst. Er soll eines Tages die Geschäfte Adams übernehmen.
Malcom erhebt sich abrupt und
verlässt das Gemach. Nur wenig später erscheint er in Begleitung von Amál.
Widerstrebend lässt sich dieser mit gesenktem Blick an der Stirnseite der Tafel
nieder. Malcom nimmt wieder neben Joan Platz, wobei er seinen Bruder abwägend
betrachtet. Awin nickt ihm daraufhin dankbar zu und setzt Amál etwas vom
gerösteten Spanferkel vor. Er bedenkt sie deswegen mit vorwurfsvollem Blick,
schüttelt matt den Kopf und schiebt alles von sich weg. „Ich bekomme keinen
Bissen herunter“, murmelt er.
Joan bemerkt freudig, dass er
seinen Kindern in ihren Wiegen verstohlene Blicke zuwirft.
Es klopft an die Tür. Rupert
tritt ein und sendet Malcom eindringliche Blicke. Dieser erhebt sich daraufhin
und tritt an ihn heran. Sie stecken die Köpfe zusammen.
„Keine Geheimnisse in diesen
altehrwürdigen Gemäuern“, kommentiert es Amál spöttisch, was die beiden
überrascht zu ihm blicken lässt. Malcom nickt Rupert zu, worauf dieser durch
die Tür hinaus verschwindet.
Während er den Blick mit Ulman,
Raymond und Joan sucht, nähert sich Malcom wieder der Tafel und nimmt daran
Platz. „Der Bote aus London traf soeben ein“, bekundet er.
Amál nickt. „Dann lass ihn
vor.“
Malcom runzelt die Stirn.
„Alles zu seiner Zeit. Er würde die Andächtigkeit hier stören. Ihm wird soeben
ein wärmendes Bad bereitet. Er ist halb erfroren.“
Amál schenkt sich einen Kelch
voll Wein ein, den er dann beinahe in einem Zuge leert. „Wozu noch länger
Trübsal blasen“, lacht er etwas zu laut und erhebt sich. „Ich muss fort von
hier. ... Ich werde euch begleiten.“
Malcom betrachtet ihn
nachdenklich. Dann nickt er zu Joans Überraschung. „Mag sein, dass es dich auf
andere Gedanken bringt.“
Amál
erstarrt, als sein Sohn zu weinen beginnt. Er atmet durch. „Entschuldigt mich“,
raunt er und eilt zur Tür hinaus, ohne den Wiegen nochmals Beachtung geschenkt
zu haben.
Joan
erwacht in der Dunkelheit vom Weinen Leanders. Sie stillt ihn und bemerkt, dass
Malcom noch nicht neben ihr liegt. Er wollte sich mit John, Raymond, Amál und
dem Boten in Ulmans Gemach treffen. Ihre Unterredung währt länger, als sie es
erwartet hatte. Als Leander gesättigt eingeschlafen ist, erhebt sich Joan. An
Roberts Bettchen lauscht sie dessen gleichmäßigen Atemzügen. Er schläft tief
und fest. Sie legt noch zwei Holzscheite auf die Glut im Kamin, schlüpft in
ihre Leibwäsche und daraufhin in ihr grünes Samtkleid. Dann öffnet sie
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